Wortkünstler am «Woerdz»-Fest Warum treten Sie mit unfertigem Programm auf, Michael Fehr?

Michael Fehr nimmt das Konzept «Werkschau» wörtlich: Der Schweizer Autor und Sänger wagt sich am Luzerner Woerdz-Festival mit einem unfertigen Programm auf die Bühne. Der Künstler mit der leicht kratzigen Stimme zeigt sein «work in progress». Ihn reize das Rohe und das Gefühl, sich auf jeden Moment neu einlassen zu müssen. Ein Gespräch über Verletzlichkeit auf der Bühne – und darüber, was sie für den künstlerischen Schaffensprozess bedeutet.

Michael Fehr

Autor und Sänger

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Michael Fehr, geboren 1982 in Bern, ist Autor und Musiker. Er studierte am Schweizerischen Literaturinstitut und veröffentlichte 2013 sein erstes Buch «Kurz vor der Erlösung». Es folgten der Kriminalroman «Simeliberg» (2015) und die Metamorphosengeschichten in «Glanz und Schatten» (2017). Seit 2020 verbindet er in seinem Projekt «super light» Erzählkunst mit Musik. Er tritt international als Erzähler, Musiker und Redner auf und gibt Workshops. 2022 erschien sein neuestes Buch «Hotel der Zuversicht».

SRF: Michael Fehr, Sie haben sich entschieden, am Woerdz nicht mit einem fertigen Stück aufzutreten – warum?

Michael Fehr: Ich glaube, dieses Stück wird wahrscheinlich nie fertig werden. Das heisst, ich kann eigentlich irgendwann anfangen, es zu präsentieren.

Unzulänglichkeit gehört zu meinen Ingredienzen.

Ohnehin will ich mein künstlerisches Schaffen pur präsentieren, brutal ehrlich – so, wie es halt ist. Weniger Nettes, weniger Geschliffenes, weniger Perfektes. Unzulänglichkeit gehört zu meinen Ingredienzen, wenn Sie so wollen.

Das ist eine sehr verletzliche Lage, in die Sie sich auf der Bühne versetzen: Es könnte immer auch scheitern. Wie wichtig ist das für Sie, um mit Ihrer eigenen Kunst weiterzukommen?

Das ist vielleicht der eigentliche Grund, warum ich das mache. Meine Haltung als Künstler ist, dass sich meine Kunst immer verändern wird. Das heisst, ich werde stets eher eine neue Herausforderung wählen, als etwas nochmal zu tun, was funktioniert hat. 

Das heisst, wenn etwas auf der Bühne einmal funktioniert hat, wird es Ihnen langweilig?

Notwendigerweise. Ich weiss ja dann, wie es geht. Klar kann ich auf Tour gehen, ich kann etwas 20 Mal spielen, auch 30 Mal. Aber irgendwann klopft mein Abenteuergeist an die Tür und will was Anderes. Meine Arbeit hält immer ein Abenteuer für mich bereit – und das bin ich gewillt, zu unternehmen. Natürlich, es ist sehr schlimm, ausgestellt zu sein, mit etwas, das vielleicht unreif ist, oder das noch keine solide Form hat. Man sieht dich halt. Man sieht dich, wie du bist: Du. Du bist so konzentriert auf das Ausführen deiner Arbeit, dass du keine Gelegenheit hast, die Leute zu täuschen. 

Was passiert, wenn es nicht funktioniert?

Das ist unbeschreiblich, die schlimmstmöglichen Gefühle von Versagen und Scheitern. Existenzängste. Identitätskrise – und zwar im eigentlichen Sinn, denn ich bin meine Kunst. Das heisst, wenn die schwach oder krank wird, dann bin es auch ich. 

Wie wird Ihre Erfahrung auf der Woerdz-Bühne dann wieder in die weitere Arbeit am Stück einfliessen?

Sehr intuitiv, ich gehe da nicht reflektiert vor. Feedbacks im Sinne des modernen Lebens sind mir nicht wichtig. Aber ich höre natürlich auf den Geist und den Atem, der im Moment im Raum geweckt wird, wenn ich das praktiziere, was ich jetzt aktuell gerade mache.

Die Nervosität und die Anspannung sind gross.

Das ist schwer zu beschreiben. Aber es ist so, dass schon allein diese Erfahrung mich weiterbringt – und zwar viel schneller, als wenn ich alles zu Hause üben würde. 

Mit welchen Gefühlen schauen Sie auf diesen Auftritt voller Unsicherheiten?

Ganz konkret freue ich mich natürlich nicht, denn die Nervosität, und die Anspannung sind eigentlich viel zu gross. Aber abstrakt freue ich mich schon: Es gibt etwas zu gewinnen!

Auf der Bühne muss ich mich halt ins Zeug legen.

Ich bin künstlerisch nie so schnell unterwegs wie vor so einem Ereignis. Plötzlich beginnt es zu zählen. Es gibt einen Countdown. Deswegen gehört das für mich einfach dazu. Auf der Bühne muss ich mich halt ins Zeug legen – und aufs Beste hoffen.

Das Gespräch führte Simon Leuthold.

Veranstaltungshinweis

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Das Spoken-Word-Festival «Woerdz» findet vom 23. Oktober bis 26. Oktober in Luzern statt. Den Auftritt von Michael Fehr gibt’s am Freitagabend, den 25. Oktober zu sehen.

SRF ist Medienpartner des «Woerdz»-Festivals.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 23.10.2024, 17:20 Uhr. ; 

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