Spielfilm «Landesverräter» Verlangte die Schweiz zu Recht seinen Tod?

«Landesverräter» erzählt die wahre Geschichte von Ernst Schrämli, der im Zweiten Weltkrieg wegen Landesverrats hingerichtet wurde.

Hinter Bisacht, einem Weiler nahe von Oberuzwil im Kanton St. Gallen, führt ein Feldweg zum Rand eines kleinen Wäldchens. Hierhin brachte in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1942 eine Einheit der Schweizer Armee den Soldaten Ernst Schrämli. Er wurde an einen Baum gebunden, die Gewehre wurden geladen. Der Offizier gab den Befehl, zu schiessen.

Schrämli wollte Sänger werden

Ernst Schrämli war der erste von insgesamt 17 Männern, die in der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges wegen Landesverrats hingerichtet wurden. Das damals geltende Kriegsrecht sah für Landesverräter die Todesstrafe vor, General Guisan legte Wert darauf, dass dieses Gesetz streng eingehalten wurde.

Der Spielfilm «Landesverräter» erzählt die wahre Geschichte des Ernst Schrämli. Er war, was man im St. Gallen seiner Zeit gemeinhin einen «armen Teufel» nannte. Essen war stets knapp, trotzdem gab er seine letzten Rappen für Gesangsstunden aus. Er träumte davon, dass ihn eine Karriere als Sänger aus seiner Misere befreit.

Während seiner Aktivdienstzeit kam Schrämli in Kontakt mit einem deutschen Agenten, der ihn aufforderte, für ihn Granaten zu stehlen und ihm Standorte der Armee zu verraten – beides unterstand der Geheimhaltung. Schrämli leistete Folge. Er flog auf, wurde verhaftet, verurteilt und hingerichtet.

Meienbergs Anklage

Die Geschichte des Ernst Schrämli hatte in den 1970er-Jahren bereits der Journalist Niklaus Meienberg in seiner Reportage «Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.» erzählt. Daraus machte Richard Dindo einen gleichnamigen, kraftvollen Dokumentarfilm, der bei der Veröffentlichung hohe Wellen warf.

Denn Meienberg und Dindo übten scharfe Kritik an Armee und Politik. Für sie war Schrämlis Hinrichtung das Produkt einer ungerechten Klassenjustiz: Er wurde für ein im Grunde nichtiges Vergehen überhart bestraft, während mächtige Schweizer aus Politik und Wirtschaft, die offen mit den Nazis sympathisierten oder gar kollaborierten, ungeschoren davonkamen.

Die Todesstrafe war zu hart

Michael Krummenacher, Regisseur des Spielfilms «Landesverräter», teilt diese Einschätzung: «Die Schweiz ist mit der Situation, dem politischen Druck aus dem Ausland, ähnlich umgegangen wie Ernst Schrämli: Beide haben versucht, in dieser Gemengelage zu überleben und im besten Fall davon zu profitieren.»

Krummenacher sagt, die Todesstrafe sei nicht gerechtfertigt gewesen. Die von Schrämli gestohlenen Granaten seien nicht mehr geheim gewesen. Die Nazis kannten sie längst von Waffenlieferungen aus der Schweiz.

Schicksal eines Träumers

Der Film «Landesverräter» folgt der bekannten Lesart dieser Geschichte, versucht indes die Figur des Ernst Schrämli genauer zu ergründen. Ihn zeigt der Film als etwas naiven Opportunisten, als einen eigenwilligen Lebenskünstler in einer Zeit, die keinerlei Platz für solche abweichende Lebensentwürfe bot.

Zwei Männer betrachten eine Karte in einem schwach beleuchteten Raum.
Legende: Ein deutscher Agent macht Schrämli Hoffnung auf eine Gesangskarriere in Nazideutschland. Im Gegenzug soll jener für ihn spionieren. Ascot Elite

Der Film ist um historische Genauigkeit bemüht, die aber immer wieder durch kunstvolle Gesangsszenen durchbrochen werden. So steigert sich der Film zu einem vielstimmigen Klagelied, mit dem das tragische Schicksal des Ernst Schrämli besungen wird. Der Landesverräter wird in all seiner Widersprüchlichkeit und Vielschichtigkeit gezeigt, wird aber gerade deshalb bis zum Schluss nie ganz nachvollziehbar.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 23.10.2024, 08:06 Uhr

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