3D-Modell Uns wächst eine neue Arterie – und bald auch ein Handy-Daumen?

Baustelle menschlicher Körper: Warum wir immer schlechter sehen und uns eine neue Ader im Arm wächst. 11 Beispiele, wie Lebensweise und Evolution unsere Körper verändern.

Was sagt der Evolutions-Mediziner zum Einfluss von moderner Lebensweise und Evolution auf unsere Körper?

Porträtbild
Legende: Frank Rühli ist Direktor des Instituts für Evolutionäre Medizin und Dekan der medizinischen Fakultät der Universität Zürich. uzh

SRF: Herr Rühli, es scheint, der Einfluss von Ernährung, Hygiene und medizinischem Fortschritt auf die Entwicklung unserer Körper nehme gegenüber den evolutionären Einflüssen zu?

Frank Rühli: Ja, wir nehmen an allen Ecken und Enden Einfluss auf die Evolution. Das meiste davon ist wohl sehr positiv, wenn auch nicht alles, allerdings möchte ich das nicht werten. Evolutionär wird bekanntlich weitergegeben, was ein Selektionsvorteil schafft und sich beispielsweise sexuell fortpflanzen kann. Heute unterscheiden sich die Rahmenbedingungen dafür natürlich komplett von der «freien Wildbahn» vor Tausenden oder Millionen Jahren.

Gelten denn die von Darwin formulierten Grundsätze überhaupt noch? Müssten sie angepasst werden?

Die Darwin’schen Thesen sind die Grundlage der Evolutionsbiologie und sie sind nach wie vor grösstenteils richtig. Wir «hebeln» sie aber auf verschiedenen Ebenen teilweise aus. Man denke nur an die praktisch nicht mehr existente Kindersterblichkeit aufgrund des medizinischen Fortschritts. Oder an die natürliche Fertilität, die etwa durch die Verhütungspille oder die künstliche Befruchtung massgeblich beeinflusst wird.  

Es wird vermutet, dass uns wegen des häufigen Smartphone-Gebrauchs ein flinker und starker «Handy-Daumen» entsteht. Was ist davon zu halten?

Das ist vorerst tatsächlich noch eine Vermutung und kein wissenschaftlicher Fakt. Grundsätzlich ist es aber schon so, dass ein häufig genutzter, wichtiger Körperteil eher besser durchblutet und kräftiger wird. Kurzfristig sehe ich aber eher zwei andere, eher degenerative, Konsequenzen. So kann die starke Daumennutzung etwa zu Schmerzen im Grundgelenk und zu Arthrose führen. Darauf könnte dann der Körper langfristig mit einer Anpassung reagieren. Ein weiteres, aber schwierig nachweisbares, Problem könnte eine verringerte Aufmerksamkeitsspanne als Folge einer übermässigen Handy-Nutzung sein. Evolutionäre Konsequenzen hätte das dann, wenn es ein Selektionsvorteil ist, sich länger konzentrieren zu können.

Alle reden von Künstlicher Intelligenz (KI) und wie sie unser Leben verändern wird. Welche Auswirkungen könnte KI auf die menschliche Entwicklung aus der Sicht des Evolutions-Mediziners haben?  

Wie alle Technologien bringt auch die Künstliche Intelligenz Vor- und Nachteile mit sich. Das raschere Lösen gewisser Aufgaben oder der schnellere Wissenstransfer sind vermutlich positiv. Mit der Verwendung einer KI lagere ich Wissen und Wissensgenerierung, aber auch Vorurteile, gewissermassen aus. Letztlich kann man das als Ressourcenschonung betrachten, was evolutionär betrachtet eher vorteilhaft ist. Allerdings führt es vielleicht auch dazu, dass ich weniger denke und geistig faul werde, was eher ein Selektionsnachteil sein dürfte.

Wissenschaftliche Quellen

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Körpergrösse

K. Staub / N. Bender / J. Floris / C. Pfister / F. Rühli, Obes Facts (2016) 9 (4): 259–272.(2016)

BfS, Gesundheitsbefragung (2017)

Arteria mediana

M. Henneberg, Journal of Anatomy (2020)

Handy-Daumen

A. Baabdullah, Medicine, Baltimore, (2020)

A. Gindrat et al., Current Biology (2014)

Palmaris Longus

T. Schreiber, Kenhub (2023)

Alejandro Ortiz et al., European Journal of Anatomy (2022), (zum Karpaltunnel-Syndrom)

Kurzsichtigkeit

E. Dolgin, Nature (2015)

Ohrenwackeln

S.A. Hackley, Psychophysiology, (2015)

Kleiner Kiefer / Zähne

A.H. Jheon et al., HHS Author Manuscripts, (2012)

Geringere Knochenstärke

M. Cotter et al., PLoS One (2011)

A. Kralick/ B. Zemel , Frontiers in Endocrinology (2020)

Laktosetoleranz

R. Evershed/M. Thomas, Nature (2022)

L. Segurel et al. PloS Biology, (2020)

Östrogen / Brustkrebs

C. Athena Aktipis et al., Evolution, Medicine, and Public Health (2015)

Knochenrückbildungen

Bo Xia et al., Biorvix, (2021) (zum Steissbein)

M. Brindle/C. Opie, Royal Society, (2016) (zum Penisknochen)

Impressum

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Roland Specker (Redaktion), Ulrich Krüger (Design), Fabian Schwander (Frontendentwicklung).

Radio SRF1, 15.02.2024, 15:15 Uhr ; 

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