International «Deutschland wird langsam in den Krieg hineingezogen»

Deutschland liefert den Kurden im Nordirak Panzerabwehr-Raketen und Panzerfäuste, um sie im Kampf gegen die Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) zu unterstützen. Statt im Alleingang zu handeln, täte Deutschland besser daran, Wert auf ein UNO- oder ein EU-Mandat zu legen, so ein Nahost-Experte.

500 Panzerabwehrraketen, 16'000 Sturmgewehre, 10'000 Handgranaten und 240 Panzerfäuste: So sieht die Waffenliste für die Peschmerga-Kämpfer im Kampf gegen die Terrormiliz IS im Nordirak aus. Insgesamt haben die Rüstungsgüter aus Bundeswehr-Beständen einen Wert von 70 Millionen Euro.

Seit Tagen war über die Unterstützung debattiert worden. Am Sonntagabend verabschiedete eine Ministerrunde unter der Leitung von Kanzlerin Angela Merkel nun den Entscheid. Die Waffenlieferung werde am Verlauf des Krieges nichts ändern, ist Michael Lüders überzeugt. Der Politik- und Islamwissenschaftler sagt im Gespräch mit SRF, die Extremistenmiliz IS werde dadurch nicht vernichtend geschlagen.

Waffen aus anderen Ländern

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Mehrere andere Staaten unterstützen den Kampf gegen die Terrormiliz IS bereits mit Waffen: Die USA und der Iran versorgen die Kurden schon seit längerer Zeit. Innerhalb der EU haben Frankreich, Grossbritannien und Italien entsprechende Beschlüsse gefasst. Deutschland will die erste Tranche der Rüstungsgüter bis Ende September ausliefern.

Entscheid verletzt Grundsatz

Die deutsche Regierung betonte, der Entscheid sei ihr schwergefallen. Man sei sich bewusst, dass man damit den eigenen Grundsatz verletze, wonach Deutschland nie Waffen in Kriegsgebiete liefern dürfe.

Mit dem Entscheid beteilige sich Deutschland an einem Krieg, ohne hierfür ein klares Mandat zu haben, sagt Nahost-Experte Lüders. «Deutschland greift in ein komplexes Gefüge unter den Kurden und innerhalb des Iraks ein – mit völlig offenem Ende.» Nach Meinung Lüders sollte Berlin Wert auf ein internationales Mandat legen, statt im Alleingang zu handeln.

Deutsche Militärberater im Nordirak

Nebst der Lieferung von Waffen, sieht der Entscheid vor, dass deutsche Soldaten die Peschmerga-Kämpfer an den Waffen ausbilden. Bodentruppen im Nordirak seien aber keine vorgesehen, hiess es.

Dennoch: «Es ist atemberaubend zu sehen, mit welcher Geschwindigkeit sich die deutsche Politik den Kampfhandlungen nähert», sagt Nahost-Experte Lüders. Zuerst sei allein die Rede von Waffenlieferungen gewesen. Doch nun würden auch militärische Berater in den Nordirak entsandt. «Es scheint mir, als würden deutsche Berater und Soldaten sukzessive in diesen Krieg hineingezogen.»

Wechsel in Deutschlands Politik?

Am Montag debattiert das deutsche Parlament, der Bundestag, über den Entscheid vom Sonntagabend. Es wird eine klare Mehrheit für die Waffenlieferungen erwartet. Die grosse Koalition aus Union und SPD ist dafür. Die Linke und wohl auch die Mehrheit der Grünen-Fraktion will dagegen stimmen. Sie werfen der Regierung vor, dass man durch diese Lieferung an eine Konfliktpartei selber Kriegspartei wird, wie SRF-Korrsepondent Adrian Arnold erklärt.

Die Abstimmung im Bundestag hat aber nur symbolische Bedeutung – ein echtes Mitspracherecht haben die Abgeordneten in diesem Fall nicht.

Deutschland habe sich in der Vergangenheit von Kriegen mit sehr komplexen Ursachen ferngehalten, sagt Nahost-Experte Lüders. Doch nun entstünde der Eindruck, dass das Land dabei sei, einen Wechsel in der Politik zu vollziehen. Es sei, als wolle «ein erheblicher Teil der deutschen Politik der Welt signalisieren, dass Deutschland bereit ist, die USA bei internationalen Einsätzen zu entlasten».

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