EU-Fahne, GB-Fahne
Legende: Seit 40 Jahren ist Grossbritannien Mitglied der EU. Was hat es in die Union eingebracht? Keystone

International «Die EU wurde in Grossbritannien geschaffen»

Grossbritannien habe die EU zu dem gemacht, was sie heute sei, sagt der ehemalige britische Spitzendiplomat Michael Leigh. Dass das Land einen grossen Einfluss ausgeübt hat, bestreitet niemand. Doch nicht alle sehen seine Rolle so positiv.

1973 trat Grossbritannien der Europäischen Gemeinschaft bei. Grossbritannien ist also kein Gründungsmitglied, im Unterschied etwa zu Frankreich und Deutschland. Aber das Vereinigte Königreich ist schon lange mit dabei und in diesen mehr als 40 Jahren habe es die EU erheblich mitgeprägt, betont Michael Leigh.

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Der frühere britische Top-Diplomat hat während 34 Jahren für die EU-Institutionen gearbeitet. Er ist überzeugt, dass vor allem die Briten den Binnenmarkt wesentlich vorwärts getrieben haben und er betont auch, dass sich Grossbritannien jeweils stark für die Aufnahme von neuen Mitgliedern eingesetzt hat. Leigh bringt seine Ansicht mit der provozierenden Formulierung «The EU was made in Britain» auf den Punkt. Auf Deutsch heisst das: Die heutige EU sei in Grossbritannien geschaffen worden.

«Immer dieser Widerspruch»

Der frühere deutsch-französische Politiker Daniel Cohn-Bendit würde das so nie sagen, aber auch er attestiert Grossbritannien mit der typisch britischen Haltung einen erheblichen Einfluss auf die EU: «Die Briten sind für die Erweiterung, so lange ihre Waren ins erweiterte Europa geliefert werden können. Sie beklagen sich aber über die polnischen Arbeiter, die zu ihnen kommen. Es ist immer dieser Widerspruch.»

Dieser Widerspruch habe Grossbritannien daran gehindert, sich voll zu integrieren. Weil das Land die Macht und das Gewicht gehabt habe, den anderen Konzessionen abzuringen, habe es für sich auch Sonderregelungen aushandeln können, ein Europa à la carte: «Ein Europa à la carte ist ein Europa, das sein politisches Potential nicht abrufen kann», so Cohn-Bendit.

Pochen auf nationale Interessen

Wenn einzelne Länder Sonderregeln hätten und nur noch an sich dächten, hindere das die Mitgliedsstaaten, gemeinsame europäische Lösungen zu suchen. An diesem Punkt sei Europa angekommen, ist Cohn-Bendit überzeugt, und Grossbritannien habe dabei eine entscheidende Rolle gespielt: «Die Leute in Grossbritannien wollen, wenn sie denn wollen, ein britannisches Europa, die Deutschen ein deutsches, die Franzosen ein französisches, die Holländer ein holländisches…. Das funktioniert nicht.» In Bezug auf dieses Pochen auf nationale Interessen habe Grossbritannien in den letzten 15 Jahren eine fatale Rolle gespielt.

Insofern ist für Cohn-Bendit die ganze Brexit-Debatte auch nur eine weitere Episode in einem grösseren Kontext. Cohn-Bendit begrüsst denn auch, dass sich die Briten mit der aktuellen Debatte nun endlich über ihre Rolle in Europa auseinandersetzen müssen.

Wachsende EU-Skepsis auch in anderen Ländern

Dass vor allem Grossbritannien ein wesentlicher Grund sei, warum auch andere Mitgliedstaaten weniger an das gemeinsame europäische Interesse dächten und verstärkt nationale Interessen verfolgten, weist Michael Leigh jedoch zurück. Die EU-Skepsis habe unabhängig von der Rolle Grossbritannien auch in anderen Ländern zugenommen.

Da hat Michael Leigh wohl recht. Aber es stimmt eben auch, dass kein anderes Land so stark auf Sonderregelungen pocht wie Grossbritannien. Insofern haben die Briten eben doch in diesem Bereich ebenfalls eine Vorreiterrolle gespielt. Doch ob die EU wirklich einheitlicher agieren würde ohne Grossbritannien, steht in den Sternen.

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