International Kurden-Frage rückt Türkei und IS-Terroristen nahe aneinander

Fast scheint es so, als müsste die Türkei zum Jagen getragen werden. Denn allzu grosse Lust, sich aktiv am Kampf gegen den IS zu beteiligen, vermittelte Ankara bisher nicht. Und das wird wohl vorerst einmal auch so bleiben, befürchtet SRF-Experte Ulrich Tilgner.

SRF Online: Ulrich Tilgner, fast hat es den Anschein, als würden Türkei und IS gemeinsame Sache machen. Täuscht das?

Ulrich Tilgner: Das täuscht in der Tat etwas. Denn eine offene Zusammenarbeit zwischen der Türkei und dem IS gibt es nicht. Allerdings, wenn man sich die Ziele beider Seiten anschaut, dann gibt es ganz klare Überschneidungen.

Ulrich Tilgner

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Tilgner berichtet seit mehr als 30 Jahren für Schweizer Radio und Fernsehen aus dem Nahen und Mittleren Osten. Von 2002 bis 2008 war er Leiter des ZDF-Büros in Teheran.

Die da wären?

Nun, wenn es dem IS gelingt, den Kanton Kobane zu erobern, dann ist das Experiment der kurdischen Selbstverwaltung zumindest in Syrien gescheitert. Der Türkei würde das in die Hände spielen. Denn ein Übergreifen des Experiments würde enormen Zündstoff bergen. Man nutzt auf türkischer Seite den Radikalismus der IS-Milizen für seine Ziele.

Wie würden Sie das Verhältnis Türkei-IS beschreiben?

Zwischen beiden Seiten herrscht schon seit Monaten eine ruhige Koexistenz oder eine stille Übereinkunft – je nachdem, wie man das nennen möchte. Gekämpft wird eigentlich nur noch dort, wo syrische Kurdengebiete an die Türkei grenzen.

Ist die Türkei möglicherweise das nächste Ziel der Terrorkämpfer?

Ganz sicher nicht. Denn militärisch hat der IS der Türkei nichts entgegenzusetzen. Deshalb haben die Terror-Kämpfer in der Vergangenheit auch die Grenze zur Türkei auf den Meter genau eingehalten.

Nun kann sich aber auch die Türkei dem internationalen Druck nicht auf Dauer entziehen. Wird man gegen den IS in den Kampf ziehen?

Sollte die Türkei tatsächlich in Syrien einmarschieren, dann nur, um die Kurden zu kontrollieren und deren Bewegung politisch zu zerstören. Der IS wäre dann nur ein Vorwand.

Ist ein Einmarsch tatsächlich realistisch?

Ich glaube nicht, dass man das machen wird. Langfristig würde das zum einen dem internationalen Türkei-Bild schaden und zum anderen den Prozess der politischen Annäherung zwischen den türkischen Kurden und Ankara zum Erliegen bringen.

Was wird stattdessen passieren?

Ich gehe davon aus, dass das Parlament zwar ein militärisches Eingreifen absegnen wird, Erdogan aber Kraft seines Amtes den Beschluss – mit Verweis auf das Schicksal der eingeschlossenen Soldaten in der Enklave – verzögern wird.

Das heisst?

Dass das halb abgekartete Spiel von IS und der Türkei meiner Ansicht nach weiterzugehen droht.

Das Interview führte Uwe Mai.

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