Neue Studie Glücksspielsucht schadet Betroffenen mehr als bisher angenommen

Über 80 Millionen Menschen leiden weltweit an einer Glücksspielstörung. Die Folgen für die Betroffenen können fatal sein, warnt eine Expertenkommission.

Sie kann Familien zerstören, das Suizidrisiko erhöhen, Kriminalität sowie häusliche Gewalt fördern und zum finanziellen Ruin führen. Die Rede ist von der Glücksspielsuch. Diese verursacht bei Menschen wesentlich mehr Schäden als bislang angenommen, heisst es in einem Bericht des Fachmagazins «The Lancet».

Zu diesem Ergebnis kommt eine Kommission aus Experten in den Bereichen Glücksspielforschung, öffentliche Gesundheit, globale Gesundheitspolitik, Risikokontrolle und Regulierungspolitik. Glücksspiel sei «eine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit», stellt der Bericht fest.

Aktuell sind demnach weltweit schätzungsweise fast 450 Millionen Menschen von negativen Auswirkungen des Glücksspiels betroffen – durch mindestens ein Verhaltenssymptom oder einen persönlichen, sozialen oder gesundheitlichen Nachteil. 80 Millionen Menschen leiden an einer Glücksspielstörung oder an problematischem Glücksspiel – was in etwa der Einwohnerzahl Deutschlands entspricht.

Sportwetten gefährlicher als Lottoschein

Auch hierzulande sei das Problem grösser als bisher angenommen, sagt Markus Meury, Mediensprecher der Stiftung Sucht Schweiz. «Zahlen aus dem Jahr 2022 zeigen, dass 4.3 Prozent der erwachsenen Bevölkerung – also rund 265'000 Personen – ein risikoreiches Geldspielverhalten aufweisen.» Ein kleiner Teil davon sei auch spielsüchtig. «Wenn man sich vorstellt, dass all diese Personen rund zwei Milliarden Franken Verlust machen, ist es nicht verwunderlich, dass sie hoch verschuldet sind.» Diejenigen, die sich bei der Schuldenberatung melden, haben laut Meury im Durchschnitt 166'000 Franken Spielschulden.

Drastisch verschärft hat sich die Situation laut dem Bericht zum einen durch die internationale Ausbreitung des kommerziellen Glücksspiels, vor allem aber durch die Digitalisierung. Durch das massiv gewachsene Angebot im Onlinebereich seien viele Leute während der Pandemie neu zum Geldspiel gekommen und auch hängen geblieben, sagt Meury.

Nebst Online-Casinos wachsen dem Bericht zufolge Online-Sportwetten am schnellsten. Diese würden laut Meury zu den gefährlichsten Glücksspielen gehören. Der Grund: die Kontrollillusion. «Man glaubt, dass man mit seinem Wissen gewinnen oder das verlorene Geld wieder zurückgewinnen kann», sagt Meury. Dabei sei der Zufall viel entscheidender. Einmal in der Woche ein Lottoschein auszufüllen, sei weniger gefährlich, weil man nicht sofort weiterspielen könne.

Interessenskonflikt der Kioskbetreiber

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Ein weiteres Problem sieht Markus Meury im Interessenskonflikt der Kioskbetreiber. Diese seien von den Zahlungen der Lotteriebetreiber abhängig. «Wenn ein Kioskbetreiber möglichst viele Kunden hat, die risikoreich spielen, hat er mehr Einnahmen. Manche Kioskbetreiber sind darauf angewiesen», so Meury. «Gleichzeitig sollten die Kioskbetreiber problematische Spieler melden und sperren lassen.»

Diese umsatzabhängigen Einnahmen seien ein grosses Problem, sagt Meury. Für die Entlöhnung der Kioskbetreibende, die Lotteriespiele anbieten, müssten andere Lösungen gefunden werden.

Es braucht ein nationales Player-Tracking

Online-Casinos hingegen sind 24 Stunden am Tag per Handy erreichbar. Diese verfügen zwar über Schutzkonzepte, bei denen Spieler gesperrt werden, wenn sie weit über ihrem Verhältnis spielen. Doch das reiche nicht, meint Meury. «Jedes Casino macht das individuell. Wenn jemand auf mehreren Plattformen gleichzeitig spielt, kommt er oft nicht an diese Grenze, hat aber trotzdem ein riesiges Geldproblem.» Es brauche ein nationales Player-Tracking, bei dem die Casinos übergreifend zusammenarbeiten würden, so Meury.

Ein weiteres Problem seien ausländische Casinos mit illegalen Angeboten. Diese Seiten müssten viel schneller gesperrt werden, sagt Meury. «Manchmal dauert es über ein halbes Jahr, bis die Behörden reagieren.» Auch gebe es noch zu viel aggressive Werbung für Glücksspiele, die auf Jugendliche abziele. «Da gibt es noch einige Hebel in der Schweiz.»

Das sagt der Schweizerische Casino Verband

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Es sei wichtig, zwischen den bewilligten und den illegalen Anbietern zu unterscheiden, schreibt der Schweizer Casino Verband auf Anfrage von SRF. «Tatsächlich sind dieillegalen Anbieter von Online-Casinos und Online-Sportwetten ein grosses Problem.» Gemäss einer Studie von KPMG würden Spieler aus der Schweiz bei den illegalen Anbietern pro Jahr 180 Millionen Franken verlieren. «Diese bieten keinen Spielerschutz und bezahlen keine Abgaben und Steuern in der Schweiz.»

Demgegenüber würden die 31 vom Bundesrat bewilligten Casinos, (davon 10 Online-Casinos) einen hohen Schutz vor Spielsucht bieten und jährlich rund 400 Millionen Franken Abgaben – hauptsächlich an die AHV – bezahlen, schreibt der Verband weiter. «Die bewilligten Schweizer Casinos sind gesetzlich verpflichtet, die Spieler vor Spielsucht und vor Einsätzen, die sie sich nicht leisten können, zu schützen.» Werde ein Spieler gesperrt, gelte dies in allen bewilligten Casinos, auch in den Online-Casinos. «Die Spieler können sich jederzeit auch selber sperren lassen. Daraus resultieren pro Jahr rund 10'000 Sperren», so der Verband.

SRF 4 News, 25.10.2024, 16:16 Uhr ; 

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