Service laufend eingeschränkt Japan läutet in der Zuwanderungspolitik eine Zeitenwende ein

Als Inselstaat ohne direkte Nachbarn hat sich Japan lange gegen Zuwanderung abgeschottet. Allerdings ist die Bevölkerung überaltert, Arbeitskräfte fehlen. Deshalb lockert Japan langsam seine strengen Einwanderungsbestimmungen. Japanologin Gabriele Vogt über eine Zeitenwende in der Zuwanderungspolitik – und ein ausschliessendes Schulsystem.

Gabriele Vogt

Japanologin

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Sie ist Professorin für Japanologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Seit 2019 hat sie an dieser Universität auch den Lehrstuhl inne. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem der demografische Wandel in Japan, die Zuwanderung im Land und seine Aussen- und Sicherheitspolitik.

SRF News: Wie dringend ist Japan auf Zuwanderung angewiesen?

Gabriele Vogt: In vielen Wirtschaftssektoren in Japan fehlen die Arbeitskräfte. Manche sogenannten «Convenience Stores» – das sind Kioske am Strassenrand, die 24 Stunden sieben Tage die Woche geöffnet sind – haben angekündigt, über Nacht schliessen zu wollen. Auch nahe der Metropolen Kyoto und Osaka sind in den letzten ein bis zwei Jahren einige Buslinien wegen Personalmangels eingestellt worden. In Japan merkt man, dass der Service, den man sich gewohnt ist, an manchen Ecken und Enden eingeschränkt wird.

Mit welchen Mitteln versucht die Regierung, Arbeitskräfte nach Japan zu holen?

2019 wurde noch unter dem mittlerweile verstorbenen Premierminister Abe Shinzo eine der grössten Reformen der letzten Jahre eingeführt, das sogenannte SSW-System («Special Skilled Workers»). Damit gab es zum ersten Mal offiziell eine Zuwanderungsmöglichkeit nach Japan, die sich nicht an hoch qualifiziertes Personal richtet. In einem solchen Fall besteht sogar die Möglichkeit, nach fünf Jahren einen Antrag auf Daueraufenthaltserlaubnis zu stellen. Dieses SSW-Zuwanderungssystem ist in Japan wirklich ein Paradigmenwechsel.

In den letzten Jahren hat sich die Zuwanderungsbewegung stark diversifiziert.

Woher kommen die Leute?

Bis vor ungefähr zehn Jahren kamen die Menschen überwiegend aus China. Das waren insbesondere Menschen, die via Praktikantenvisa nach Japan gekommen sind und später im Niedriglohnsektor gearbeitet haben. Oder Studierende, die bis zu 28 Stunden Nebenjobs pro Woche erledigen konnten. In den letzten Jahren hat sich die Zuwanderungsbewegung hingegen stark diversifiziert. Es hat eine deutliche Zunahme von Leuten aus Vietnam gegeben, zum Beispiel im Technologiesektor, aber auch von einfachen Arbeiterinnen und Arbeitern aus Nepal und von den Philippinen.

Landarbeiter erntet Gemüse auf dem Feld.
Legende: Arbeiter aus Thailand arbeiten auf einer Farm im Dorf Showa, Präfektur Gunma, Japan. Reuters/Malcolm Foster

Gibt es gewisse Anforderungen, welche Menschen erfüllen müssen, die nach Japan einwandern wollen – zum Beispiel, dass sie Japanisch sprechen oder schreiben können?

Das ist tatsächlich in vielen Berufsfeldern eine Voraussetzung. Zum Beispiel wird bei Pflegefachkräften ein sehr hohes Niveau vorausgesetzt, was die Zuwanderungswege für viele unattraktiv macht. In anderen Sektoren ist dies etwas weniger der Fall. Generell lässt sich aber sagen: Sprachkenntnisse sind etwas, was in der Debatte um eine Öffnung des japanischen Arbeitsmarktes für internationale Arbeitnehmerinnen und -nehmer eine grosse Rolle spielt.

In der Bevölkerung oder auch bei Lokalregierungen ist viel guter Wille da.

Einwanderer in Japan haben es traditionellerweise nicht leicht. Wie begegnet die Gesellschaft den Ausländerinnen und Ausländern?

Auf individueller Ebene läuft vieles besser als man erwarten würde. Ein Problem ist, dass es wenig politische Unterstützungsmassnahmen gibt. Beispielsweise gilt für Kinder ohne japanischen Pass die Schulpflicht nicht. Viele Schulen weigern sich, Kinder aufzunehmen, weil sie dem japanischen Unterricht nicht folgen können. Aber es gibt auch Schulen, die versuchen, mit der Unterstützung von Freiwilligen Sprachkurse auf die Beine zu stellen. In der Bevölkerung oder auch bei Lokalregierungen ist viel guter Wille da. Aber es mangelt an politischer und finanzieller Unterstützung.

Das Gespräch führte Brigitte Kramer.

Echo der Zeit, 21.10.2024, 18:00 Uhr ; 

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