Streit um Rentenreform Frankreichs Gewerkschaften drohen mit unbefristetem Streik

Am Dienstag werden Millionen gegen die Rentenreform protestieren. Notfalls wollen die Gewerkschaften das Land lahmlegen.

Der Kampf um die Rentenreform ist überall präsent. Selbst an der Landwirtschaftsmesse «Salon de l’agriculture» in Paris. Es ist die grösste Publikumsmesse Frankreichs und Pflichttermin der Branche. Auch die Gewerkschaften sind präsent.

Jacques Gaben ist Vizepräsident der Gewerkschaft Synapsa, die beim Angestelltenverband CGC das Personal der landwirtschaftlichen Genossenschaften vertritt. Am Stand liegt prominent ein Flugblatt auf, mit dem alle grossen Gewerkschaften Frankreichs gemeinsam zur Demonstration vom Dienstag aufrufen.

Der Showdown steht bevor

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Protestierende mit französischer Flagge.
Legende: Keystone/Michel Spingler

Die Rentenreform kommt nun in die entscheidende Phase: Der französische Senat hat noch bis Sonntag um Mitternacht Zeit, das Gesetz zu bereinigen. Zwei Wochen später muss die Regierung entscheiden, ob sie das Gesetz per Verordnung durchsetzt. Die Gewerkschaften ihrerseits drohen mit einem unbefristeten Streik, der das öffentliche Leben und die Wirtschaft zum Stillstand bringen würde, sollte die Regierung das Vorhaben nicht beerdigen.

Das komme selten vor, sagt Gaben. «Wenn mein moderater Angestelltenverband CGC gemeinsam mit der radikalen Gewerkschaft CGT demonstriert, dann zeigt das, wie ernsthaft das Problem ist.»

Viele müssten länger arbeiten

Die Erhöhung des offiziellen Rentenalters von 62 auf 64 Jahre ist nur ein Grund für den Widerstand. Es geht auch um die Zahl der Beitragsjahre. 41 Jahre waren bisher für eine vollständige Rente notwendig, künftig sollen es 43 Jahre sein. Dies sei viel wichtiger, betont Gaben.

Denn für viele sei das offizielle Rentenalter bloss Fiktion. Er selber habe zweieinhalb Jahre darüber hinaus arbeiten müssen, um die Beitragsjahre zu erreichen und eine vollständige Rente zu bekommen. Dies gehe vielen Leuten so.

Das Problem wird dadurch verschärft, dass in Frankreich die meisten Berufseinsteiger deutlich älter als 20-jährig sind. Sie haben die Schule mit einer Matura abgeschlossen und vor der ersten Stelle noch einige Semester an einer Hochschule studiert.

Von monatlich 900 Euro leben

Was bei den Gewerkschaften ebenfalls schlecht ankommt, ist die Minimalrente von 1200 Euro, mit der die Regierung für die tiefsten Renten eine Verbesserung von rund 100 Euro verspricht. Die Gewerkschaften nennen dies eine Mogelpackung, weil die 1200 Euro ebenfalls mit 43 Beitragsjahren verknüpft sind.

Die effektive Minimalrente dürfte in den meisten Fällen demnach tiefer sein. Dies hat inzwischen selbst die Regierung eingestanden. Das Problem der tiefen Renten kennt Gaben aus der Landwirtschaft: «Im Agrarsektor müssen viele Leute mit einer Rente von monatlich rund 900 Euro leben.»

Im Agrarsektor müssen viele Leute mit einer Rente von monatlich rund 900 Euro leben.
Autor: Jacques Gaben Vizepräsident der Gewerkschaft Synapsa

Das reiche allenfalls, wenn sie weiterhin auf ihrem Hof wohnen könnten und dort keine Miete zahlen müssen sowie das Gemüse im eigenen Garten anbauen könnten und nicht kaufen müssten. «Aber selbst dann bedeutet eine Rente von 900 Euro eigentlich ein Leben unterhalb der Armutsgrenze.»

Darum bringe diese Minimalrente für die Mehrheit der Bevölkerung kaum etwas, sagt Gaben. Er hofft, dass die Regierung das Gesetz zurückzieht.

Es droht eine Lahmlegung Frankreichs

Die Mobilisierung vom Dienstag sei wichtig, betont Gaben: «Wenn wirklich drei Millionen Leute auf die Strasse gehen, dann lenkt die Regierung vielleicht doch noch ein, um einen flächendeckenden Streik zu verhindern, mit dem die Gewerkschaften Frankreich zum Stillstand bringen wollen.» Dies sei teuer und unsinnig – aber durchaus möglich.

Jacques Gaben, dessen Gewerkschaft im Agrarsektor tätig ist und keine Streiktradition hat, hofft darum, dass sich die Regierung doch noch auf Gespräche mit den Gewerkschaften und der Opposition einlässt. Dass sie die umstrittene Rentenreform zurückzieht und sie nicht auf dem Verordnungsweg durchsetzt.

Echo der Zeit, 6.3.2023, 18:00 Uhr

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