Urteil des Verfassungsgerichts Polen: Einzelne EU-Gesetze verfassungswidrig

  • Einige Bestimmungen und Gerichtsurteile der EU verstossen laut dem Verfassungsgericht in Warschau gegen polnisches Recht.
  • Die Entscheidung dürfte den Streit zwischen Warschau und Brüssel um die Reform des polnischen Justizsystems weiter anheizen.

«Der Versuch des Europäischen Gerichtshofs, sich in das polnische Justizwesen einzumischen, verstösst gegen (...) die Regel des Vorrangs der Verfassung und gegen die Regel, dass die Souveränität im Prozess der europäischen Integration bewahrt bleibt», urteilten die Richter in Warschau. Die Entscheidung könnte den Streit zwischen Warschau und Brüssel um die Reform des polnischen Justizsystems weiter anheizen.

Konkret ging es bei dem Verfahren darum, ob Bestimmungen aus den EU-Verträgen, mit denen die EU-Kommission ihr Mitspracherecht bei Fragen der Rechtsstaatlichkeit begründet, mit der polnischen Verfassung vereinbar sind.

Regierungschef Mateusz Morawiecki hatte das polnische Verfassungsgericht gebeten, ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 2. März 2021 zu überprüfen. In dem Urteil hatten die obersten EU-Richter festgestellt, dass EU-Recht Mitgliedsstaaten zwingen kann, einzelne Vorschriften im nationalen Recht ausser acht zu lassen, selbst wenn es sich um Verfassungsrecht handelt.

Zweifel an der Unabhängigkeit des polnischen Verfassungsgerichts

Laut EuGH könnte das Verfahren zur Besetzung des Obersten Gerichts in Polen gegen EU-Recht verstossen. Dies würde bedeuten, dass der EuGH Polen zwingen könnte, Teile der umstrittenen Justizreform der nationalkonservativen PiS-Regierung aufzuheben. Die EU-Kommission hat wegen der Reformen bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen die Regierung in Warschau eröffnet und Klagen beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingereicht.

Unter anderem hat die Brüsseler Behörde auch Zweifel an der Unabhängigkeit des polnischen Verfassungsgerichts, welches nun den Vorrang des nationalen Rechts über EU-Recht festgestellt hat. Vorsitzende ist Julia Przylebska, enge Vertraute von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski. «Die Organe der EU handeln ausserhalb der Grenzen der Kompetenz, die ihnen von Polen zuerkannt wird», sagte Przylebska bei der Urteilsverkündung. Ähnlich hatten in der Vergangenheit Regierungsvertreter argumentiert, wenn es darum ging, EuGH-Entscheidungen nicht zu befolgen.

EU-Kommission: EU-Recht vor nationalem Recht

Die EU-Kommission stellte nach dem Urteil klar, dass man an den Grundprinzipien der europäischen Rechtsordnung festhalte: EU-Recht habe Vorrang vor nationalem Recht. Alle Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) seien für die Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten bindend.

Man werde das Urteil nun im Detail analysieren und dann über weitere Schritte entscheiden. «Die Kommission wird nicht zögern, von ihren Befugnissen gemäss der Verträge Gebrauch zu machen und eine einheitliche Anwendung und die Integrität des EU-Rechts zu gewährleisten.» Welche Reaktion das konkret sein könnte, liess auch EU-Justizkommissar Didier Reynders bei einer Pressekonferenz in Brüssel offen. Er stellte jedoch in Aussicht, dass sie schnell kommen könnte – binnen Tagen oder Wochen.

Tagesschau, 7.10.2021, 18 Uhr ; 

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