Krachendes Nein zu BVG-Reform ... und jetzt, liebe Parteipräsidenten?

Wieder einmal scheitert eine Pensionskassenreform. An der Präsidentenrunde herrscht Katerstimmung – mit einer Ausnahme.

2010, 2017, 2024: Der Hattrick ist komplett – zum dritten Mal versenkt das Stimmvolk eine Reform der beruflichen Vorsorge. Die Gewerkschaften und die Linke lassen die Korken knallen. Bei den Bürgerlichen herrscht Katerstimmung.

Über Jahre hinweg feilten die Sozialpartner und die Politik an einem tragfähigen Kompromiss. Aus der einst «historischen Einigung» ist ein Scherbenhaufen geworden. An der Präsidentenrunde ging es an die Aufarbeitung.

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SVP, FDP und Mitte müssen eine üble Schlappe verkraften. Im Parlament wurde die Kompromissvorlage von Gewerkschaften und Arbeitgeberverband verwässert. Hat die bürgerliche Mehrheit in Bundesbern den Bogen überspannt? Immerhin gab es auch bei den Wirtschaftsverbänden Bruchlinien.

FDP-Präsident Thierry Burkart hat keinen Rentenknatsch bei der «Wirtschaftspartei» erlebt. Im Parlament seien «praktisch alle» Parteimitglieder für die Reform gewesen, auch die Basis habe hinter der Reform gestanden. «Offensichtlich gab es aber Gegnerinnen und Gegner in bürgerlichen Kreisen.»

Gerhard Pfister findet, dass eine ausgewogene Vorlage zur Abstimmung kam. «Das Volk sah das aber anders», räumt der Mitte-Präsident ein. Die Balance sei schwierig bei einer Rentenreform – eine reine Ausbauvorlage sei nicht finanzierbar und würde beim Volk auch keine Mehrheit finden.

Unsere Argumente sind nicht in ausreichendem Mass an unsere Basis durchgedrungen.
Autor: Marcel Dettling Parteipräsident der SVP

Zu denken gibt die BVG-Schlappe auch der SVP: Die Partei gab die Ja-Parole aus, die eigene Wählerschaft folgte aber den Sirenengesängen der Gewerkschaften. «Wir haben verloren, unsere Argumente sind nicht in ausreichendem Mass an unsere Basis durchgedrungen», gibt Marcel Dettling zu.

Im gleichen Atemzug schwenkt der SVP-Chef auf die Asylpolitik. Er habe in den letzten Wochen immer wieder gehört, dass es für Migranten genug Geld gebe. «Dass es dann höhere Lohnabzüge geben soll, versteht unsere Wählerschaft nicht.»

Die Linke feiert den Abstimmungserfolg
Legende: Das Parlament ist bei den eidgenössischen Wahlen im letzten Jahr nach rechts gerückt. Im Parlament muss die Linke seither unten durch. Nach dem Ja zur 13. AHV-Rente feiert sie nun aber den nächsten Coup an der Urne. Keystone/Peter Schneider

SP-Präsidentin Mattea Meyer versteht das Votum als Aufruf an die Politik: «Die jüngsten Volksentscheide zeigen, dass die Menschen einen Ausbau der AHV wollen und eine Senkung der Renten überdeutlich ablehnen.» Die Kaufkraft habe in den letzten Jahren gelitten, so Meyer. Die bürgerlichen Parteien müssten Volkes Stimme endlich hören.

Die Bevölkerung war nicht zu dumm. Sie hat sehr gut verstanden, dass sie für eine schlechtere Rente mehr hätte bezahlen sollen.
Autor: Mattea Meyer Co-Präsidentin der SP

Dettling geht in den Gegenangriff: Die Reform hätte die Situation von Frauen in Teilzeitarbeit verbessert – die SP habe «einen Kampf gegen die Frauen» geführt. Meyer kontert: «Eine grosse Mehrheit der Frauen hat heute zu Recht Nein gesagt, weil sie wussten, dass die Vorlage ihnen keine bessere Rente gebracht hätte.»

Hat die hochkomplexe Vorlage die Stimmbevölkerung nicht einfach überfordert? Die SP-Chefin stellt das in Abrede: «Die Bevölkerung war nicht zu dumm. Sie hat sehr gut verstanden, dass sie für eine schlechtere Rente mehr hätte bezahlen sollen.»

Nach der Reform ist vor der Reform

Der Kampf um die nächste Pensionskassenreform ist eröffnet. Meyer geht ihn mit einer klaren Forderung an: Es darf keinerlei Kürzungen beim Leistungsniveau geben. Und es braucht ein grundlegendes Umdenken: Kranke Angehörige zu pflegen und Kinder zu erziehen, dürfe kein Risiko für Altersarmut mehr sein.

In der bürgerlich dominierten Runde gibt es heftigen Widerspruch: Eine Ausbauvorlage, wie sie die SP jetzt fordere, müsse auch bezahlt werden, sagt FDP-Chef Burkart. «Wir wehren uns dagegen, dass man den Leuten, die jeden Morgen zur Arbeit gehen, immer mehr Geld aus dem Sack zieht.»

Für Mitte-Präsident Pfister ist klar: Ohne breiten Kompromiss wird es auch in Zukunft nicht gehen. «Eine neue Reform kommt aber in den nächsten fünf Jahren sicher nicht vors Volk.» Kompliziert wird es auch dann.

Nein zur Biodiversitäts-Initiative: die Reaktionen

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Nach Anfangssympathien in den Umfragen ist die Biodiversitäts-Initiative deutlich gescheitert. An der Präsidentenrunde äusserten sich die Parteichefs zum klaren Nein – und dazu, wie sich die Politik um den Erhalt der Biodiversität kümmern will.

Mitte-Präsident Gerhard Pfister: «Es ist überhaupt nicht nur ein Sieg der Bauernlobby. Die landwirtschaftlichen Kreise haben zu Recht darauf hingewiesen, dass sie nicht das Problem, sondern Teil der Lösung sind. Die Landwirtschaft leistet einen wichtigen Beitrag zur Biodiversität. Es darf nicht sein, dass sie permanent angegriffen wird.»

FDP-Präsident Thierry Burkart: «Die Initiative war zu extrem und hat flächendeckend zusätzliche Massnahmen gefordert. Die Landwirtschaft konnte aber im Abstimmungskampf aufzeigen, welch beeindruckende Leistungen sie bereits für die Biodiversität leistet. Diese bleibt eine Herausforderung. Aber es braucht andere Lösungen.»

SVP-Präsident Marcel Dettling: «Heute haben die Städter einmal mehr gegen die Landbevölkerung gestimmt, die jeden Tag das Beste für die Biodiversität gibt. Die Städter sollen schauen, dass die Biodiversität in den Städten zunimmt – vor allem dort gibt es ein Artensterben. Und die Städte breiten sich in der Schweiz immer mehr aus.»

SP-Präsidentin Mattea Meyer: «Das Nein zur Biodiversitäts-Initiative war kein Nein zu mehr Biodiversität. Die Biodiversität ist eng verknüpft mit Klimaschutzmassnahmen und darf nicht gegen sie ausgespielt werden. Es braucht jetzt konkrete Lösungen von denen, die die Initiative als extrem bezeichnet haben.»

SRF 1, 22.9.2024, 17 Uhr;stal

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