Betreibungsämter profitieren Schuldenfalle Krankenkasse

Krankenkassenprämien zählen oft nicht zum Existenzminimum. Bei Betreibungen droht deshalb ein Teufelskreis.

Die Zahl der Betreibungen steigt und steigt. Treiber sind die Krankenkassenprämien: 2008 waren Prämien in der Höhe von 144 Millionen Franken ausstehend. 2017 blieben bereits 347 Millionen Franken unbezahlt. Ein Grund dafür sind die steigenden Prämien. Schuld ist aber auch ein Mechanismus, der bisher unbeachtet blieb.

Fataler Kreislauf

Yves de Mestral, Zentralvorstand der Schweizer Betreibungsbeamten, hat festgestellt: Bei Lohnpfändungen werden die Krankenkassenprämien meist nicht ins Existenzminimum einkalkuliert. Er warnt: «Wenn die Pfändung vollzogen wird und die Prämien nicht eingerechnet wurden, dann kommt der Schuldner in ein Hamsterrad. Es kommt zu neuen Betreibungen und noch mehr Schulden.»

Grund für diese Berechnungspraxis ist ein Urteil des Bundesgerichts, wonach auch lebensnotwendige Ausgaben nicht zum Existenzminimum zählen, wenn jemand sie in der Vergangenheit nicht zuverlässig bezahlt hat.

Die Krankenkassen treiben ausstehende Prämien aber zuverlässig ein. Entsprechend schnellt die Zahl der Betreibungen in die Höhe – und mit ihnen die Umsätze der Betreibungsämter. Insbesondere in der Westschweiz und im Kanton Bern wurden die Betreibungsämter in den letzten Jahren zu eigentlichen Profitzentren.

Staatliche Gewinne

Im Kanton Bern erwirtschaften die Betreibungsämter seit einer grossen Reform 2010 mit den Gebühren immer höhere Gewinne. Die Erträge sind von 6.8 auf 17 Millionen Franken gestiegen.

Ein unhaltbarer Zustand, sagt die Berner Justizdirektorin Evi Allemann gegenüber der Rundschau. «Das ist politisch nicht gewollt.» Gebühren dürften nur kostendeckend sein, sie dürften nicht zu Gewinnen führen.

Die Verantwortung für das Problem ortet Allemann allerdings nicht primär im eigenen Departement. «Das Grundproblem der steigenden Krankenkassenprämien ist nicht lösbar, indem man bei den Betreibungen ansetzt.» Sie hofft, dass die beschlossenen Prämienverbilligungen eine Linderung bringen.

Pilotversuch in Zürich

Einen anderen Weg geht Yves de Mestral: Als Präsident der Betreibungsämter der Stadt Zürich hat er ein Pilotprojekt angestossen. Die Betreibungsämter zahlen anstelle der Schuldner die laufenden Krankenkassenprämien aus dem gepfändeten Geld. Diesen Ermessensspielraum lasse das Bundesgericht den Behörden, sagt de Mestral.

Ziel ist es, zu verhindern, dass Prämien wegen der Lohnpfändung unbezahlt bleiben. Der Teufelskreis von Pfändung und neuer Betreibung wegen der Pfändung soll durchbrochen werden. «Wir müssen näher am Schuldner sein, ihn aufklären», meint de Mestral. Wenn das gelingt, könnte das Beispiel Schule machen.

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