Bilaterale Verträge Wenig Lust auf mehr Nähe zur EU

Anfang der 1990er-Jahre war die Welt eine andere. Der eiserne Vorhang war gefallen, Europa ordnete sich neu, die EG, wie die EU damals noch hiess, verhandelte mit vielen möglichen neuen Mitgliedstaaten. In der Schweiz fürchtete der Bundesrat, sein Land könnte sich auf dem Rangierbahnhof der Geschichte bald auf dem Abstellgleis wiederfinden. Mit dem EWR-Vertrag wollte er das verhindern, parallel dazu stellte er ein EG-Beitrittsgesuch. Dem Volk ging das zu schnell und zu weit. Es machte diesen Avancen mit dem EWR-Nein ein Ende.

Die Alternative – zunächst als unmöglich verschrien – hiess bilateraler Weg. Zwei Vertragspakete entstanden, geschnürt 1999 und 2004. Das Ziel war, die wirtschaftlichen Vorteile des EWR zu bekommen und gleichzeitig möglichst wenig Nachteile, wie politische Fremdbestimmung, in Kauf nehmen zu müssen. Das Kunststück gelang und prägt bis heute die Einstellung der Schweizerinnen und Schweizer zur EU: Man ist sehr skeptisch, hält aber gute Beziehungen wirtschaftlich für sehr hilfreich.

Nutzen ist abstrakt – Nachteil hingegen klar spürbar

Man sieht also einen grossen, eher abstrakten Nutzen der Bilateralen, nämlich für die Wirtschaft, glaubt aber im alltäglichen Leben konkret Nachteile zu spüren. Da überrascht es nicht, dass eine Mehrheit zwar Verhandlungen mit der EU befürwortet, aber nur eine Minderheit engere Beziehungen wünscht.

Für das Ja-Lager wird es alles andere als einfach

Diese Haltung macht das Vorhaben, die Beziehungen mit der EU weiterzuentwickeln, anspruchsvoll. Denn das Nein-Lager, angeführt von der SVP, wird in einem Abstimmungskampf an ihr Paradethema Zuwanderung anknüpfen können und damit dort, wo die Menschen jetzt schon die Stirn runzeln. Ebenso punkten könnte die Gegnerschaft beim Thema Souveränität, bei der Selbstbestimmung der Schweiz. Hier zeigt die Umfrage, dass die Bürgerinnen und Bürger sehr wohl um ihre demokratischen Rechte fürchten.

Für das Ja-Lager wird es kaum reichen, dagegen nur mit wirtschaftlichen Vorteilen zu argumentieren oder vor wirtschaftlichen Nachteilen warnen. Es wird konkret sagen müssen, warum stabile Beziehungen mit der EU für jede und jeden von konkretem Vorteil sind. Und auch der Bundesrat müsste mit viel Engagement und wohl auch emotionalen Argumenten für ein Ja kämpfen. Der Blick zurück auf die verlorene EWR-Abstimmung zeigt, dass es selbst dann nicht einfach wird.

Curdin Vincenz

Bundeshausredaktor

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Curdin Vincenz arbeitet seit 1998 für SRF. Seit 2016 berichtet er über das Geschehen im Bundeshaus – mehr als fünf Jahre für das Radio und seit Juni 2022 für das Fernsehen. Zuvor war er unter anderem als Regionalkorrespondent in Zürich und als Moderator der Radiosendung «Rendez-vous» tätig. Er hat an der Universität Bern Geschichte und Politikwissenschaft studiert.

Heute Morgen, 25.10.2024, 6 Uhr

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