Elternurlaub von 24 Wochen Genfer Elternzeit als Vorreiter für die ganze Schweiz?

In Bern abgelehnt, in Genf angenommen. Das zeigt: Ein moderater Vorschlag für Elternurlaub hat politisch durchaus Chancen.

Die Einführung einer Elternzeit von 24 Wochen im Kanton Genf ist eine Schweizer Premiere – kein Kanton kennt bislang einen so weit gehenden Elternurlaub.

Die deutliche Zustimmung zur Initiative der Grünliberalen von rund 58 Prozent hat vor allem damit zu tun, dass es eine moderate Vorlage war, wie SRF-Romandie-Korrespondentin Valérie Wacker ausführt.

In Genf ging es um zusätzliche sechs Wochen

In der Tat geht die Genfer Elternzeit mit insgesamt 24 Wochen viel weniger weit als ähnliche Vorschläge, die am Wochenende im Kanton Bern – dort verlangte ein Vorstoss 40 Wochen Elternzeit – und vor einiger Zeit im Kanton Zürich abgelehnt wurden.

Zeit bald reif für schweizweite Elternzeit?

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Auch die Politikwissenschaftlerin Michelle Beyeler spricht von einem «moderaten» Modell, das jetzt in Genf eine Volksmehrheit erzielt hat. «Zudem ist in Genf die Zustimmung zu Vorlagen, bei denen es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, grundsätzlich sehr hoch.» Anders im Kanton Bern: «Dort haben es familienpolitische Vorlagen grundsätzlich schwerer», so Beyeler. Zudem sei der SP-Vorschlag in Bern wohl zu weit gegangen. «Genf wird jetzt ein bisschen zu einem Labor, um zu sehen, wie das läuft mit den 24 Wochen Elternzeit», glaubt die Politologin.

Beyeler geht davon aus, dass eine Genfer Lösung auch schweizweit in einigen Jahren womöglich eine politische Mehrheit erreichen könnte. Derzeit sieht sie jedoch noch keine Volksmehrheit für einen schweizweit geltenden Elternurlaub – zu gross seien die kulturellen und sozialpolitischen Einstellungen der Menschen in den verschiedenen Kantone und Regionen. «In ländlichen Kantonen gibt es teilweise eine sehr grosse Ablehnung», so Beyeler. Demgegenüber sei die Zustimmung in den Städten meist deutlich höher.

In Genf kommen jetzt also zu den im Kanton geltenden 16 Wochen Mutterschaftsurlaub und den zwei Wochen schweizweit geltenden zwei Wochen Vaterschaftsurlaub sechs Wochen hinzu, die wiederum nach einem bestimmten Schlüssel aufgeteilt werden können.

Alle Familienmodelle sollen profitieren

Der Initiativtext sieht vor, dass sechs Wochen obligatorisch an den anderen Elternteil gehen, der keine Mutterschaftsversicherung bezieht – beispielsweise also an den Vater.

Zwei Wochen würden nach Wunsch der Eltern aufgeteilt: Die Mutter könnte also ihren Mutterschaftsurlaub um zwei Wochen verlängern oder der andere Elternteil könnte seine sechs Wochen um zwei verlängern.

Von den insgesamt 24 Wochen Elternzeit sollen alle Familienmodelle profitieren, also auch gleichgeschlechtliche Paare und Adoptiveltern.

Finanziert werden soll die zusätzliche Elternzeit in Genf zu gleichen Teilen durch Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Die Sozialabzüge dürften dadurch um 0.05 Prozent steigen.

Bürgerliche dafür, Linke dagegen

Erstaunlich: Die Vorlage kam von den Grünliberalen und stiess bei den bürgerlichen Parteien grossmehrheitlich auf Zustimmung, nur die SVP war dagegen.

Die linken Parteien sowie die Gewerkschaften lehnten den Vorschlag ab. Sie setzten sich für einen ehrgeizigeren Elternurlaub von mindestens 34 Wochen ein. Zudem befürchteten sie, dass die Mütter mit dem Modell womöglich am Schluss weniger als die jetzt geltenden 16 Wochen Mutterschaftsurlaub haben könnten.

Der Genfer Staatsrat (Regierung) wird sich nun daran machen, die Verfassungsänderung zu konkretisieren. Klar ist: Genf wird zu einem Vorreiter in Sachen Elternurlaub.

SRF 4 News, 19.06.2023, 10:50 Uhr ; 

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