Paola Eicher-Pellegrini ist eine der letzten Geschworenen der Schweiz. Die Tessiner Unternehmerin wird durchschnittlich zwei- bis dreimal jährlich per Losentscheid aufgeboten.
Dann ist für Eicher-Pellegrini klar, dass sie vor und während des Prozesses keine Medien zum Fall konsumiert. Sie geht auch nicht ins Internet, um mehr über den Fall zu erfahren. Sie wolle unbelastet am Prozess teilnehmen.
Wichtig ist, dass du dich nicht beeinflussen lässt.
Gleiches macht Celestino Falconi. Der pensionierte Lehrer war bereits an 20 Prozessen als Geschworener dabei. Es sei klar, dass man während eines Gerichtsprozesses nicht völlig von der Aussenwelt abgeschottet sei. Gelegentlich schnappe man etwas aus den Medien auf. «Wichtig ist, dass du dich nicht beeinflussen lässt.»
Dass die beiden weiterhin als Laien darüber entscheiden, ob ein Angeklagter schuldig ist oder nicht, haben sie Filippo Contarini zu verdanken. Der Tessiner Jurist – mittlerweile Assistenzprofessor an der Universität Lausanne – hatte sich nicht damit abgefunden, dass die Geschworenengerichte schweizweit abgeschafft werden. Dies sah die neue Strafprozessordnung, die 2011 in Kraft trat, aber vor.
Contarini lancierte eine Petition zur Rettung der Geschworenen und erreichte, dass das Tessiner Stimmvolk Nein zur Abschaffung sagte. Somit blieben dem Tessin als einzigem Kanton diese Laienrichter erhalten. Damit die Geschworenengerichte aber auch nach Einführung der neuen Strafprozessordnung wirken konnten, waren Anpassungen nötig.
So erhalten die Geschworenen neu die Akten über den Strafprozess bereits im Vorfeld und nicht mehr erst im Gerichtssaal bei Prozessbeginn. Dieses sogenannte Unmittelbarkeitsprinzip ist nämlich mit der neuen Strafprozessordnung nicht mehr erlaubt.
Geschworene bringen eigene Sichtweise ein
Dennoch bleibt der Charakter des Geschworenengerichts erhalten, ist Contarini überzeugt. Die Geschworenen brächten eine andere Sicht in die Urteilsfindung ein, weil sie eben keine Experten seien, sondern Leute aus dem Volk. Geschworene könnten auch Juristen sein, aber eben auch Gewerbler, Angestellte usw. Diese würden die eigene Sichtweise einbringen.
Geschworenengerichte können leicht überfordert sein.
Felix Bommer, Strafrechtsprofessor an der Universität Zürich, kann dieser Argumentation wenig abgewinnen. Er findet es richtig, dass in der Schweiz vor rund 15 Jahren die letzten Geschworenengerichte in Genf, Neuenburg, Waadt und Zürich abgeschafft wurden. Er ist der Meinung, dass die Rechtssprechung immer komplizierter wird. «Geschworenengerichte können leicht überfordert sein», sagt Bommer.
Ein Etikettenschwindel?
Für Bommer sind die Tessiner Geschworenengerichte keine richtigen mehr. Das typische Merkmal, dass die Geschworenen ohne Vorkenntnisse in den Gerichtsaal kommen, sei im Tessin nicht mehr gegeben.
Im Tessin spricht man allerdings weiterhin von «assesori giurati» – Geschworenen. Für die langjährige Geschworene Paola Eicher-Pellegrini ist klar, man sei kein Abnickergremium. Man übernehme praktisch nie das Strafmass des Richters. Meistens würden die Geschworenen das Strafmass erhöhen oder senken.
Diese Aussagen bestätigen den Juristen Contarini darin, dass das Geschworenengericht auch heute noch seine Berechtigung hat.