Kohäsionsmilliarde freigegeben «Die Schweiz wird der EU noch etwas mehr entgegenkommen müssen»

Die Schweiz zahlt die Kohäsionsmilliarde an die EU. Mit dem Betrag in der Höhe von 1.3 Milliarden Franken will die EU ihre neuen Mitgliedsstaaten in Osteuropa finanziell unterstützen. Gestern Abend wurde heftig über diese Freigabe diskutiert im Nationalrat. Es wurde unter anderem argumentiert, dass man ein wichtiges Pfand aus der Hand gebe, dass man sich erpressen liesse von der EU. Andere sagten, man müsse das Geld überweisen, damit wieder Tauwetter in den Beziehungen der Schweiz mit der EU entstehen könne. Immerhin komme man damit nun wieder ins Gespräch, sagt Charles Liebherr, SRF-Korrespondent in Brüssel dazu.

Charles Liebherr

EU-Korrespondent

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Charles Liebherr ist EU-Korrespondent von Radio SRF. Davor war er unter anderem in der SRF-Wirtschaftsredaktion tätig, später war er Frankreich-Korrespondent. Liebherr studierte in Basel und Lausanne Geschichte, deutsche Literatur- und Sprachwissenschaft sowie Politologie.

SRF News: National- und Ständerat haben entschieden. Die Schweiz bezahlt die Kohäsionsmilliarde nach langem politischen Hin und Her. Wie kommt das in Brüssel an?

Charles Liebherr: Ganz gut, gemäss einer kurzen Stellungnahme der EU-Kommission gestern Abend. Es gilt jetzt, noch eine entsprechende Absichtserklärung zu unterschreiben, darum diese Zurückhaltung. Gleichzeitig erinnert die EU-Kommission auch daran, dass die Schweiz damit eigentlich nicht mehr macht, als das schon länger versprochene Geld endlich freizugeben. Die Reaktion fällt also so aus, wie sie zu erwarten war. Die EU-Kommission betonte schon länger, dass sie von der Schweiz einfach erwarte, dass sie ihre finanziellen Verpflichtungen einhalte.

Das Geld soll ja insbesondere den neuen EU-Mitgliedsstaaten in Osteuropa zugutekommen. Wie wichtig ist diese Milliarde aus der Schweiz eigentlich aus Brüsseler Sicht?

In Anbetracht der enormen Summen, die nun alle EU-Staaten im Rahmen des Corona-Wiederaufbaufonds zur Verfügung gestellt erhalten, sind die jährlichen Millionen aus der Schweiz doch eher symbolisch. Aber das heisst nicht, dass sie weniger wichtig sind.

Die EU-Kommission erinnerte daran, dass man sich einen Automatismus wünsche für ebensolche Kohäsionszahlungen aus der Schweiz.
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Es geht ja darum, dass die Schweiz wie andere Drittstaaten einen Preis bezahlt für einen privilegierten Zugang zum grössten Binnenmarkt der Welt, wie die EU das jeweils gerne betont. Und darum folgte gestern auch noch einmal die logische Erinnerung der EU-Kommission, dass man sich einen Automatismus wünsche für ebensolche Kohäsionszahlungen aus der Schweiz. Das ist eine alte Forderung, auf die die Schweiz aber bisher einfach noch nicht eingetreten ist.

Kann es wirklich für Entspannung sorgen, dass das Geld jetzt auch überwiesen wird?

Ich meine schon, das Parlament hat nun die Voraussetzung geschaffen, um wieder bei null mit der EU ins Gespräch zu kommen. Gelöst in der Sache – also in Bezug auf die Zukunft der bilateralen Verträge – ist ja noch gar nichts. Da bleibt das Geschirr zerschlagen. Aber in Bezug auf andere Kooperationsprojekte besteht die berechtigte Hoffnung, dass jetzt beide Seiten einen Schritt voranmachen können. Die EU betonte ja immer, dass die Gespräche nicht beginnen können, bevor die Schweiz nicht alle alten finanziellen Verpflichtungen einlöst.

Eigentlich könnten die Verhandlungen über eine Beteiligung am Forschungsprogramm Horizon oder auch am Austauschprogramm Erasmus beginnen.
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Und das ist nun erfüllt. Nun könnten eigentlich die Verhandlungen über eine Beteiligung am Forschungsprogramm Horizon oder auch am Austauschprogramm Erasmus beginnen. Aber beginnen heisst ja nicht abschliessen. Damit dies gelingt, wird die Schweiz der EU wohl doch noch etwas mehr entgegenkommen müssen, als es mit der Kohäsionsmilliarde gemacht wurde.

Das Gespräch führte Roger Aebli.

SRF 4 News, 01.10.2021, 07:20 Uhr ; 

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