Langzeitfolgen von Covid-19 Ein paar Wochen in der Reha – für immer zur Dialyse?

Wie sich das neuartige Coronavirus langfristig auswirkt, ist noch unklar. Covid-19 schädigt aber nicht nur die Lungen.

Im Berner Reha-Zentrum Heiligenschwendi sitzt Kurt Birkhofer in seinem Zimmer auf dem Bett; ein weisser, dichter Haarschopf, ein weinrotes T-Shirt über dem mageren Oberkörper. Es gehe ihm gut, er müsse Kräfte sammeln.

Der 77-Jährige ist Mitte März schwer an Covid-19 erkrankt: doppelte Lungenentzündung, fünf Wochen Intensivpflege, invasive Beatmung. Dann fing die Rehabilitation an. Jetzt braucht Birkhofer keinen Sauerstoff mehr.

Lungengewebe ist weniger durchlässig

Er hofft, sich ganz zu erholen. Wie sich Covid-19 langfristig auf schwer Erkrankte wie ihn auswirken wird, lässt sich noch nicht sagen. Viele Mediziner rechnen aber mit Langzeitfolgen. Der Lungenspezialist Patrick Brun ist Chefarzt auf der Heiligenschwendi. Aus Studien zu den Sars-Epidemien 2002 und 2003 oder zu Mers 2012 sei bekannt, dass bis zu 30 Prozent der Patienten einen bindegewebeartigen Umbau in der Lunge entwickelt haben, erklärt er.

Das heisst, das Lungengewebe vernarbt, ist steif und weniger durchlässig für Sauerstoff. «Die Patienten haben dann häufig zu wenig Sauerstoff im Blut», so Brun, was zu anhaltenden Atemnot- und Hustenbeschwerden führen könne.

Leber und Nieren bleiben entzündet

Solche sogenannten Lungenfibrosen sind nicht die einzige Spätfolge, welche die Mediziner befürchten. Denn Sars-CoV-2 befällt nicht nur die Lunge. Das Virus kann sich im ganzen Körper ausbreiten und andere Organe schädigen. In der Reha zeigt sich oft, dass sich die Lungenfunktion der Patienten zwar erholt, aber die Entzündungswerte etwa der Leber oder Niere bleiben hoch.

Auch die Blutgerinnung scheint bei Covid-19 nachhaltig gestört. «Das heisst, auf die Gerinnselbildung scheint die Infektion ebenfalls Einfluss zu haben», so Brun. Solche Gerinnsel können gefährliche Thrombosen und Lungenembolien auslösen. Darum werde das Blut dieser Patienten medikamentös verdünnt.

Treppensteigen wird zur Schwerstarbeit

Was den Ärzten in Heiligenschwendi weiter auffällt, ist die extreme Müdigkeit von Covid-19-Patienten. Viele hätten Mühe, auch nur ein Stockwerk Treppen zu steigen. Wie sich das anfühlt, hat auch Peter Piot erfahren. Der berühmte belgische Virologe, Entdecker des Ebolavirus und HIV-Pionier, erkrankte im März an Covid-19, musste ins Spital und litt wochenlang unter den Folgen.

In einem Erfahrungsbericht malt er die Langzeitfolgen von Covid-19 in düsteren Farben. Viele Menschen müssten mit chronischen Nieren- und Herzproblemen rechnen. Hunderttausende weltweit würden künftig Dialyse benötigen. Je mehr man über das Coronavirus erfahre, desto mehr Fragen werfe es auf, schreibt Piot. Das sehen die meisten Mediziner ähnlich.

Weitere Studien sollen Klarheit bringen

So gibt es auch Berichte, wonach Covid-19 die sogenannte Kawasaki-Krankheit, eine rätselhafte Entzündungserkrankung bei Kindern, auslöse.

Trotzdem sei es für eine Prognose zu früh, findet Brun. «Wir müssen die Daten abwarten, die im Rahmen von Studien erhoben werden.» Solche Studien sind bereits angelaufen. Das Inselspital Bern zum Beispiel hat eine multinationale Studie gestartet, die Langzeitfolgen von Covid-19 an der Lunge untersucht.

Covid-19-Patient Birkhofer ist zuversichtlich. Er fühle, wie die Kraft zurückkehre. Er habe zwölf Kilogramm abgenommen und müsse wieder Muskeln aufbauen. Und wenn er zu Hause sei, sei klar, was er tun werde: «Probieren, mich zu bewegen – und so schnell wie möglich aufs Velo!»

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Echo der Zeit, 19.05.2020, 18 Uhr

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