«Leider gibt's kein Popcorn» Die Armee lässt das Bundeshaus beben

Die SP dreht im roten Bereich, der Mitte platzt der Kragen, die SVP empört sich – und die Armee bekommt mehr Geld. Protokoll einer Debatte, die das Parlament durchschüttelte.

Hollywood bringt neuerdings wieder Filme in epischer Länge ins Kino. Das bringt mehr Verkäufe an der Snackbar und holt die Leute weg vom Sofa. Der Nationalrat kennt die Langform schon lange. Kommerzielle Interessen stecken aber nicht hinter den epischen Debatten: Manche Geschäfte sind ganz einfach komplex oder wichtig. Oder im Fall der Armeebotschaft beides.

Nach zweitägiger Diskussion hat der Nationalrat nun entschieden, der Armee vier Milliarden mehr zur Verfügung zu stellen. Das Ziel: Die Schweiz soll angesichts der angespannten geopolitischen Lage Zähne zeigen. Eine abschreckende Wirkung soll vor allem Richtung Russland erzielt werden.

Sparen – aber nicht bei der Armee

Mit seiner Aufstockung der Armeebudgets um vier Milliarden ging das Parlament sogar weiter als vom Bundesrat avisiert. Für erbitterte Diskussionen sorgte im Rat, wie die Mehrausgaben gegenfinanziert werden sollen. Die rote Linie markierte SVP-Nationalrat Mauro Tuena gleich zu Beginn: Steuererhöhungen.

Am Ende setzte sich ein Modell durch, das die Ratslinke schier zur Weissglut trieb: Die Ausgaben sollen mit Sparmassnahmen kompensiert werden – unter anderem bei der Entwicklungshilfe. Zudem sollen die Kantone einen tieferen Anteil der Bundessteuer erhalten.

Höhere Armeeausgaben andernorts kompensieren

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Der Nationalrat will die um vier Milliarden Franken höheren Armeeausgaben über einen tieferen Kantonsanteil an der direkten Bundessteuer und Sparmassnahmen gegenfinanzieren. Das hat er mit den Stimmen von SVP, FDP und einem Teil der Mitte entschieden. Die grosse Kammer bevorzugte die Kompensationslösung einer Fondslösung – mit 110 zu 78 Stimmen bei 3 Enthaltungen. In der Gesamtabstimmung nahm sie den Bundesbeschluss mit 119 zu 64 Stimmen bei 9 Enthaltungen an.

Wie der Ständerat sprach sich auch der Nationalrat zuvor dafür aus, der Armee für die kommenden vier Jahre 29.8 Milliarden Franken zur Verfügung zu stellen. Dies sind 4 Milliarden Franken mehr als vom Bundesrat beantragt. Damit soll sichergestellt werden, dass das Armeebudget bereits bis 2030 und nicht erst bis 2035 den Zielwert von einem Prozent des Bruttoinlandproduktes erreicht. (sda)

Die Debatte im Rat war schrill, zuweilen empfahl es sich, den Stahlhelm aufzusetzen (oder alternativ Oropax). «Sie stimmen für Kanonen statt Kinderbetreuung und Panzer statt Pensionen!», feuerte SP-Nationalrätin Tamara Funiciello. Und blickte ebenso drohend wie vielsagend zur rechten Ratshälfte: «Ob das die Stimmbevölkerung wirklich will?»

Fabian Molina holte den Vorschlaghammer raus: Er empörte sich, dass das Parlament für den «Trachtenverein Armee» bei den Menschen sparen wolle – dem Sozialwesen, der Bildung und der Entwicklungshilfe.

Politbeben im Bundeshaus

Die Provokation verfehlte ihre Wirkung nicht. Mehrere SVP-Nationalräte «stellten» den Zürcher Sozialdemokraten und forderten eine Entschuldigung. Die politischen Pole nutzten das Schaufenster der grossen Armeedebatte auch zur Selbstinszenierung.

Die Mitte versuchte, die Streithähne wieder einzufangen. «Sie haben es gemerkt, jetzt geht’s ans Eingemachte», analysierte Nicole Barandun die Lage. «Leider steht im Bundeshaus kein Popcorn für solche Situationen zur Verfügung.» Immerhin hier ist Hollywood der Bundespolitik voraus.

Sichtlich genervt beschwörte die Mitte-Frau den Ernst der Lage. Die Armee sei nach dem Kalten Krieg heruntergewirtschaftet worden. Jetzt müsse das Parlament seine Hausaufgaben machen – und tief in die Tasche greifen. Gesagt, getan: Eine bürgerliche Allianz von SVP, FDP und Mitte griff zur Finanzierungslösung, die die SP im roten Bereich drehen liess.

«Die Mitte paranoid – geht's noch?»

Kurz vor Schluss verlor auch noch die Mitte die Contenance. Wieder hatte Fabian Molina einen Wirkungstreffer erzielt. Er warf der Mitte vor, ihre Ideale (und die eigene Bundesrätin) über Bord zu werfen – und «paranoid» zu agieren.

Mitte-Fraktionschef Matthias Bregy stürmte ans Rednerpult – und wollte von Molina wissen, welche Vertreter seiner Partei denn nun «paranoid» seien – damit diese sich eine Strafanzeige überlegen könnten.

SVP-Politiker im Nationalratssaal
Legende: So sehen Sieger aus – und Politiker, die sich fürchterlich über Fabian Molina aufregen. Keystone/Anthony Anex

Politik war heute Show, allerdings ohne Popcorn. Am Entscheid hat die Linke trotzdem zu knabbern.

Rendez-vous, 19.09.2024, 12:30 Uhr

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