Prekäre Situation Grippewelle belastet Kinderspitäler – aber nicht nur

Eine Grippewelle rollt über die Schweiz. Innert einer Woche hat sich die Zahl der Ansteckungen mehr als verdoppelt. Das meldet das Bundesamt für Gesundheit (BAG). Die Grippe und das RS-Virus grassieren besonders unter Kindern. Die Kinderspitäler kommen unter Druck. 

Christoph Berger ist einer der bekanntesten Kinderärzte der Schweiz – und Chefarzt Infektiologie am Kinderspital Zürich. Er spricht Klartext: «Im Moment sind die Kinderkliniken an den Grenzen – sie tun ihr Möglichstes. Aber das geht nicht auf lange Zeit.»  

Im Winter werde es fast immer eng: Wegen der Grippe – und wegen des für Kleinkinder gefährlichen RS-Virus. Die Situation sei aber viel schwieriger als in anderen Jahren. Das habe auch mit der Pandemie zu tun. In den letzten zwei Jahren habe man sich mit starken Massnahmen wie Masken, Abstand halten und so weiter geschützt. Das habe auch dazu geführt, dass wir kaum andere Virusinfektionen gehabt hätten, so Berger.

Jetzt tragen wir keine Masken mehr und die entsprechenden Viren breiten sich aus.
Autor: Christoph Berger Chefarzt Infektiologie» am Kinderspital Zürich

Die Immunsysteme der Kinder aber sind schlechter vorbereitet, wie Berger weiss: «Wir haben sehr viele, vor allem kleiner Kinder, die Atemwegsinfektionen haben und wir brauchen sehr viele Betten für diese Patienten.» Die personelle Situation sei aber sehr angestrengt und eng.  

Das Personal ist das Problem. Das bestätigt auch der Kinder-Herz-Spezialist Malte Frenzel – er leitet «AllKids» – eine Allianz der Kinderspitäler von Basel, Zürich und St. Gallen. Die Personalsituation sei dramatisch. «Das hat zum einen mit dem Mangel an Pflegepersonal und zum anderen auch mit Krankheitsausfällen zu tun.»

Priorisierung nötig

Das hat unmittelbare Folgen: In Zürich zum Beispiel hat es schlicht zu wenig Pflegende, um alle Betten zu betreiben. Das bestätigt auch Chefarzt Christoph Berger. Das Personal gebe aber alles, was es kann. 

Das heisst aber auch: Ärztinnen und Pfleger müssen priorisieren. Dann gebe es geplante Spitaleintritte, die man vielleicht erst im Januar oder im Frühling machen könne.

Was in der Pandemie bei den Erwachsenen geschah, geschieht jetzt bei den Kindern: Operationen werden verschoben. Und wenn immer möglich würden die kleinen Patientinnen und Patienten früher nach Hause geschickt als in normalen Zeiten – sagt Kinderspital-Vertreter Malte Frenzel: «Kinder werden so bald wie möglich – sobald sie wieder zu Hause betreut werden können – nachhause geschickt, das ist richtig.»

Mehr Geld könnte den Pflegeberuf attraktiver machen

Noch sei das medizinisch verantwortbar, sagen Malte Frenzel und Christoph Berger. Es müsse sich aber etwas tun beim Personal, es brauche mehr Pflegerinnen und Pfleger. Die Kinderspitäler fordern mehr Geld, höhere Abgeltungen von den Krankenkassen.  

Doch was würde mehr Geld bringen, wenn das Personal fehlt? «Die Hoffnung wäre absolut, dass man dadurch den Beruf wieder attraktiver macht. Man hätte so zum Beispiel die Möglichkeit alternative Anstellungsmodelle zu suchen und so hofft man sich wieder einen Zulauf von neuen Pflegekräften», sagt Malte Frenzel weiter.

Politisch festgefahren

Kantone und Kinderspitäler fordern vom Bundesrat vehement: Er solle eingreifen und die Tarife in der Kindermedizin sofort erhöhen. Doch die Situation ist politisch seit Jahren festgefahren. 

Möglich, dass die akuten Probleme Bewegung bringen in die Diskussion. Kurzfristig aber – für diese Tage und Wochen – bleibt den Kinderspitälern nur ein Appell an die Eltern: Sie sollten sich bei kranken Kindern an einer Beratungs-Hotline wenden oder an die eigene Kinderärztin – damit auf den Notfall-Stationen Platz bleibt für die schwersten Fälle.

Rendez-vous, 19.12.2022, 12:30 Uhr

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