Studie zu häuslicher Gewalt Femizide sind nur die Spitze des Eisbergs

Häusliche Gewalt ist für viele in der Schweiz alltäglich. Das zeigt eine neue Umfrage: Rund ein Drittel der Bevölkerung hat bereits Gewalt in der Beziehung erlebt. Am Ende der Gewaltspirale stehen Femizide.

Die Umfrage der Forschungsstelle Sotomo zeigt: 42 Prozent der Frauen und 24 Prozent der Männer in der Schweiz haben bereits Gewalt in der Beziehung erlebt. 15 Prozent gibt zu, selbst schon einmal gewalttätig geworden zu sein. Die Umfrage umfasst alle Formen häuslicher Gewalt – die physische, psychische und sexuelle Gewalt. Entsprechend sind die Femizide die Spitze des Eisbergs, kommt die Studie zum Schluss. Sie haben meist eine lange Vorgeschichte und mit Grundüberzeugungen zu tun.

Als Gründe für häusliche Gewalt nennen die Befragten: Alkoholkonsum, eigene Gewalterfahrung, Besitzansprüche und ein traditionelles Frauenbild. Für die Mehrheit der Befragten ist Gewalt in der Beziehung nicht tolerierbar und Trennungsgrund Nummer eins.

Ausserdem sieht eine grosse Mehrheit die gewaltausübende Person in der Verantwortung. Ein guter Fünftel der Männer sieht aber sexy Angezogene in der Mitverantwortung im Falle von Belästigungen, bei den Frauen denkt ein Siebtel so. Vergewaltigungsmythen, die sexuelle Gewalt verharmlosen, erhalten keine mehrheitliche Zustimmung. Doch wissen nur rund 60 Prozent der Befragten, dass sich die Involvierten bei Vergewaltigungen meistens kennen.

Die stereotypen Rollenbilder von Frau und Mann liegen teils erheblich auseinander: Dass Männer Frauen beschützen und erobern wollen – dass Frauen beschützt und erobert werden wollen, davon sind mehr Männer überzeugt als Frauen.

Ein Fünftel der Männer hält ein Nein für einen möglichen Teil der Verführung, bei den Frauen ist es nur ein Zehntel. Zudem sind zehn Prozent der Befragten der Meinung, dass Frauen, die von einem Mann geschlagen werden, diesen auch in den meisten Fällen provoziert haben.

Gesellschaftliches Problem

Gut die Hälfte der Befragten hält das, was zu Hause geschieht, für eine Privatsache. Doch die grosse Mehrheit bezeichnet häusliche Gewalt als ein gesellschaftliches Problem und ist der Meinung, dass die Politik mehr dagegen unternehmen muss.

Sie fordert mehr Prävention und öffentliche Gelder für Kampagnen. Ausserdem sollten Femizide in der Kriminalstatistik separat ausgewiesen und bei ärztlichen Kontrollen sollte häusliche Gewalt standardmässig angesprochen werden.

Die Frauenhäuser lancieren gleichzeitig zur Sotomo-Umfrage eine Kampagne, um Wege aus der Gewaltspirale aufzuzeigen. Sie möchten das Thema Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt ins öffentliche Bewusstsein rufen und daran erinnern, dass sich die Schweiz mit der Unterzeichnung der «Istanbul Konvention» des Europarates 2018 dazu verpflichtet hat, umfassende Massnahmen gegen die Gewalt an Frauen und Mädchen zu ergreifen.

Sotomo-Studie im Auftrag der Frauenhäuser

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Die Forschungsstelle Sotomo befragte online knapp 3600 Personen ab 16 Jahren, vom 20. September bis zum 4. Oktober 2021. Die Umfrage bildet eine Momentaufnahme ab und erfolgte im Auftrag der Dachorganisation der Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein (DAO). Vergleichszahlen gibt es nicht, auch wurde in der Umfrage «Gewalt» nicht genauer definiert. Weitere Studien sind geplant.

Die Studie von Sotomo im Detail

Häusliche Gewalt nimmt zu

Im Juni 2021 hat der Bundesrat den ersten Staatenbericht der Schweiz zur Umsetzung der «Istanbul Konvention» gutgeheissen. Darin hält er fest, dass die häusliche Gewalt und die Gewalt gegen Frauen mit der Konvention in den Fokus politischer Debatten gerückt sei. Eine Roadmap sowie Massnahmen- und Aktionspläne auf lokaler, kantonaler und nationaler Ebene sollen Verbesserungen ermöglichen.

In den jüngsten Zahlen zum Jahr 2020 weist der Bund aus, dass im Schnitt alle zweieinhalb Wochen eine Frau an den Folgen häuslicher Gewalt stirbt. Von häuslicher Gewalt mitbetroffen sind schätzungsweise 27'000 Kinder jedes Jahr. Seit Jahren gibt es einen Trend zur leichten Zunahme. Mit 20'123 Straftaten wurde im Jahr 2020 ein neuer Höchststand im Bereich der häuslichen Gewalt registriert.

Von Gewalt betroffen? Hier finden Sie Unterstützung!

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Hilfe für gewaltbetroffene Personen:

Hilfe für gewaltausübende Personen:

Rendez-vous, 09.11.2021, 12:30 Uhr

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