Gotthard wird zum Nadelöhr Baustelle am Basistunnel verschärft Verteilkampf auf der Schiene

Europa-Rekord: Fast 40 Prozent der Güter werden in der Schweiz auf der Schiene transportiert. Doch der Platz ist knapp – das zeigt sich exemplarisch am Gotthard.

Am 10. August 2023 kam es zu einem folgenschweren Unfall. Ein Güterzugwagon entgleiste im Gotthard-Basistunnel und wurde über Kilometer mitgeschleift.

Der Schaden im Tunnel war deutlich grösser als zunächst angenommen. Noch immer sind die Reparaturarbeiten nicht abgeschlossen. Die Konsequenz: Die Reisenden müssen wie früher über die Gotthard-Bergstrecke fahren und sind somit fast eine Stunde länger unterwegs.

Güterverkehr am Gotthard priorisiert

Der Gotthard-Basistunnel hat zwei Röhren und die unbeschädigte konnte nach dem Unfall relativ schnell wieder in Betrieb genommen werden – allerdings bis auf wenige Ausnahmen nur für Güterzüge. Weshalb aber wurden die Güterzüge bevorzugt? Schliesslich hatte doch ein Güterwagon den verheerenden Unfall im Tunnel verursacht.

Peter Füglistaler, Direktor des Bundesamts für Verkehr (BAV), begründet dies damit, dass es sehr aufwendig gewesen wäre, den Schienengüterverkehr über die Bergstrecke fahren zu lassen. «Deswegen hat man entschieden, dass dieser Priorität hat und man am Wochenende Lösungen für den Personenverkehr sucht.»

Wenn es um den Personen- oder Güterverkehr geht, ist die öffentliche Meinung immer für den Personenzug.
Autor: Peter Füglistaler Direktor des Bundesamts für Verkehr

Güterzüge sind schwerer als Personenzüge. Sie bräuchten zusätzliche Lokomotiven, um die steile Bergstrecke zu bewältigen. Hinzu kamen Sicherheitsbedenken. Die Umleitung des Personenverkehrs war also deutlich leichter zu bewerkstelligen.

Güterzug in Erstfeld vor Fahrt durch Gotthard-Basistunnel
Legende: Ob Lebensmittel, Postpakete oder Baumaterialien: 38 Prozent der Güter werden in der Schweiz auf der Schiene transportiert – so viel wie sonst nirgends in Europa. Keystone/Urs Flüeler (Archiv)

Trotzdem ist die Bevorzugung des Güterverkehrs keine Selbstverständlichkeit, sagt Füglistaler: «Wenn es um den Personen- oder Güterverkehr geht, ist die öffentliche Meinung immer für den Personenzug.» Die Probe aufs Exempel zeigt: Der BAV-Chef liegt nicht falsch. Eine kurze Umfrage unter Zugreisenden zeichnet nämlich ein deutliches Bild:

Doch die Schweiz ist speziell. Hier gibt es die Alpeninitiative und klar formulierte politische Ziele, Güter möglichst auf der Schiene und nicht auf der Strasse zu transportieren. Regelmässig wird darum der Bund zum Anwalt des Güterverkehrs und stellt sicher, dass ein Teil der Schienentrassen für Güter übrig bleibt.

Eine klassische Güterabwägung

Das gilt nicht nur für den Gotthard, der auch mit dem Fokus auf den Güterverkehr gebaut wurde, sondern ebenso für andere wichtige Strecken, sagt BAV-Chef Füglistaler: «Der Lötschberg-Basistunnel wurde wesentlich für den Güterverkehr gebaut. Nach wenigen Jahren hat man festgestellt, dass er vor allem mit Personenverkehr ausgelastet war. Dadurch wurde die Kapazität für den Schienengüterverkehr eingeschränkt.»

Damit Güter und Menschen auf der Schiene aneinander vorbeikommen, muss stets zwischen den Bedürfnissen abgewogen werden. Das Beispiel Gotthard zeigt aber, dass der Güterverkehr auf der Prioritätenliste des Bundes – trotz erschwerter Bedingungen – weiterhin weit oben steht.

Rendez-vous, 22.07.2024, 12:30 Uhr;kobt

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