Zur Frage der Stunde Ach, du liebe Zeitumstellung!

Wenig bringt viele so aus dem Tritt, wie wenn wir – wie diesen Sonntag wieder – die Uhren umstellen. Wenn Tritt, dann einer in den Hintern, frotzelt unser Autor.

Stefan Gubser

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Stefan Gubser macht Online-Journalismus, seit es das Internet gibt. Früher befragte der studierte Germanist berühmte Schauspieler. Heute wird er gerne mit einem verwechselt und arbeitet bei SRF Kultur.

Ich gehe ja nun wirklich nicht mit der Zeit. Ich bin der letzte Mohikaner in ganz Zürich, der ohne Smartphone lebt . Ich paare mich partout nicht polyamor. Und jedes Mal, wenn in meinem bezaubernden Berufsleben ein charmanter «Change» vor der Bürotür steht, die es nicht mehr gibt, denke ich: «Das kriege ich nicht mehr gebacken.»

Das neue Ferientool ist so kompliziert, dass ich bis zur Pensionierung durcharbeiten werde, weil ich es nicht schnalle. Zu unguter Letzt das fabrikneue Laptop: Ich suche seit Tagen die «Delete»-Taste.

Man muss heute gar nichts mehr, schon gar nicht denken.

Und jetzt noch die Zeitumstellung. Gefahr im Anzug für das Gewohnheitstier! Aber das Gejammer, aus aktuellem Anlass diese Woche auch in einer unserer Sitzungen? Ich kann es nicht mehr hören. All die Papis mit den kleinen Kids, denen es graut wie der Morgen selbst, dass der Nachwuchs die nächsten Tage eine Stunde früher wach wird. «Freut euch», sage ich, der ich es da mit, ich meine, Jean-Paul Sartre halte: Sind bis um die Mittagsstunde keine zwei Seiten «zu Papier gebracht», wie das früher hiess, ist der Tag vor dem Abendbrot gegessen. Merke: Man kann nie früh genug aufstehen.

Nicht nachvollziehbare Aufregung meinerseits auch in der Frage: «Muss ich denn am Sonntag die Uhr eine Stunde nach vorne drehen oder nach hinten? Das ist alles so wahnsinnig kompliziert!» »Man muss heute gar nichts mehr», schnaube ich, «schon gar nicht denken.» Jedes einzelne dieser aus China atomar ferngesteuerten Smartphones macht doch alles von selbst. Man reist abends ins Schlummerland, schaut am nächsten Tag auf die Uhr und sieht, was es geschlagen hat.

Leid tun mir, sorry, Menschen, eigentlich nur die Sonnenuhren.

Ich nenne kein Gehirn mein Eigen, das mit mathematischer Logik klar kommt. Zeitrechnung: Hilfe! So etwas wie den «Satz des Pythagoras» kann ich bis heute nicht tippfehlerfrei abschreiben. Aber selbst ich kann alle Jahre wieder diesen einen klaren Gedanken fassen: Ab Frühsommer wollen wir und die Weltwurstindustrie, dass es abends einen Tick länger hell ist. Folglich drehen wir die von Oma oder Opa geerbte Standuhr mit dem Schraubenschlüssel nach rechts. So wir ihn denn finden.

Umgekehrt rotieren wir Schlaumeier den Stundenzeiger – Sie dürfen ruhig mitschreiben – zu Ende Oktober in die entgegensetzte Richtung. Denn wir wollen, dass es früh eindunkelt, damit die Stromkosten schön hoch werden, wenn wir schon ein bisschen beklagen wollen. Die ganze Aktion hat den netten Nebeneffekt, dass die Kinder eine Stunde früher ins Bettchen zu bequemen sind. Zur Not halt mit etwas Nachdruck. Leid tun mir – sorry, Menschen! – nur die Sonnenuhren, die sonst schon aus der Zeit gefallen sind. Wobei sie im Winter wieder richtig ticken«, wenn ich richtig rechne.

Unter dem berühmten Strich: Sie ist zu schaffen, diese Zeitumstellung. Es kann sogar Freude machen, Herr (oder Dame) über die Zeit zu sein – nicht weniger also, als ein bisschen Gott zu spielen. Was ich aber nur zu gerne wüsste: Was ist aus dem europäischen Ansinnen geworden, die Winterzeit in Rente zu schicken, auf dass es für immer und ewig Sommer bleibe?

Schade, fehlt mir zur Stunde genau jene Stunde für Nachforschungen, die wir ja erst am Sonntag geschenkt bekommen.

SRF 1, Gesichter und Geschichten, 22.10.2024, 17:40 Uhr

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