Finanzierung Artenschutz Sind Biodiversitätszertifikate die Lösung?

An der Biodiversitätskonferenz im kolumbianischen Cali treffen sich derzeit auch mehr Vertreterinnen und Vertreter der Finanzindustrie denn je – ihr grosses Thema: der Handel mit Biodiversitätszertifikaten, der gerade am Entstehen ist. Zu hören sind aber auch kritische Stimmen.

Die Idee ist dieselbe wie beim CO₂: Wer den Ausstoss von klimaschädlichen Gasen reduziert, indem er zum Beispiel Bäume pflanzt oder Gas- durch Solarkocher ersetzt, kann sich diesen Klimaschutz bestätigen lassen. Er erhält ein Zertifikat und kann dieses verkaufen.

Ähnlich soll der Schutz der Artenvielfalt mit sogenannten Biodiversitätszertifikaten angekurbelt werden.

Investieren in eine intakte Umwelt

Ein Unternehmen wie Nespresso beispielsweise, das in Kaffeeproduktion stark von einer intakten Umwelt abhängig ist, könne in deren Erhalt investieren, sagt Akanksha Kathri, Leiterin Natur und Biodiversität beim Weltwirtschaftsforum WEF.

Die Biodiversitätskonferenz in Cali wird den Markt für Zertifikate vorwärts katapultieren.
Autor: Clara Morales Programmverantwortliche beim Anbieter Biocarbon Standard

Auch Schokoladeproduzenten hätten ein Interesse daran, dass die Biodiversität dort, wo Kakao wächst, geschützt beziehungsweise verbessert wird. Biodiversitätszertifikate seien dazu ein ideales Instrument, betont Kathri: «Der Anbieter von Biodiversitätszertifikaten verspricht eine klar messbare Verbesserung der Biodiversität in einem definierten Gebiet.»

Dazu kann ein Anbieter zusätzliche Pflanzen setzen, Tieren geschützte Räume bieten, verhindern, dass ein Gebiet überbaut wird.

Wie bloss Biodiversität messen?

Gemessen wird die Biodiversität allerdings weltweit noch ganz unterschiedlich. Es gibt eine Vielzahl von Anbietern, die Biodiversitätsprojekte evaluieren und Zertifikate ausstellen. Für potenzielle Käufer ist das verwirrend.

Clara Morales ist Programmverantwortliche bei einem dieser Anbieter, bei Biocarbon Standard aus Kolumbien. Sie hofft, dass es an der laufenden Konferenz gelingt, die Methoden zu vereinheitlichen und gemeinsame Grundsätze zu definieren.

Zertifikate vor allem in Europa

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Die bisherigen Käufer von Biodiversitätszertifikaten kommen hauptsächlich aus Europa, stellt Clara Morales fest. Das ist kein Zufall. Die EU und in gewissem Umfang auch die Schweiz fordern von grossen Unternehmen, dass sie offenlegen, welche Auswirkungen ihre Tätigkeiten auf die Umwelt, aufs Klima, aber auch auf die Artenvielfalt haben.

Auf jeden Fall stellt sie in Cali von Beginn weg ein riesiges Interesse für das Thema fest: «Die laufende Biodiversitätskonferenz wird den Markt für Biodiversitätszertifikate vorwärts katapultieren.»

Noch ist der Markt vergleichsweise klein. Biodiversitätszertifikate im Wert von schätzungsweise knapp zwei Milliarden Dollar sind laut einer neuen Studie der Beratungsfirma Pollination bisher ausgestellt worden. Im Bereich des CO₂-Ausstosses sind es allein im nicht staatlich regulierten Bereich mindestens siebenmal mehr.

Hoffen auf den Durchbruch in Cali

Das hat zwei Hauptgründe: Einerseits haben Biodiversitätszertifikate auch etliche Kritiker, die befürchten, dass hier eine Art Ablasshandel entsteht. Unternehmen könnten so die Schäden, die sie anrichten, auf günstige Weise kompensieren, so der Vorwurf. Zudem drohe die lokale Bevölkerung, einmal mehr aussen vor gelassen zu werden.

Anderseits sind viele potenzielle Käufer derzeit zurückhaltend, weil sie gesehen haben, wie ihr Vertrauen auf dem Markt mit CO₂-Zertifikaten missbraucht wurde. Grosse Projekte haben nicht den versprochenen Nutzen gebracht. Die Preise für die Zertifikate sind in den Keller gerasselt.

Klar ist: Biodiversitätszertifikate werden in Cali im Fokus stehen wie noch nie. Doch ob die Konferenz tatsächlich zum Booster wird für den neuen Markt – wie Branchenvertreter hoffen –, zeigt sich in den kommenden Monaten.

 

Rendez-vous, 23.10.2024, 12:30 Uhr;stal

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