Nach Johnsons Abgang «Ein Rücktritt von Theresa May würde mich wundern»

Die Brexit-Hardliner in der Regierung May gehen von Bord. Zurück bleiben viele Fragezeichen, sagt unser Korrespondent.

Es rumort an der Downing Street 10: In der Nacht geht der Brexit-Minister David Davis, nun verkündet auch Aussenminister Boris Johnson seinen Rücktritt. Das Kabinett von Premierministerin May ist um eine schillernde Figur ärmer – und um einen Hardliner in der Frage, wie der Austritt Grossbritanniens aus der EU ausgestaltet werden soll.

Johnson forderte wie Davis einen «harten Brexit». Beide plädierten für einen harten Bruch mit Brüssel. SRF-Korrespondent Martin Alioth zur Frage, ob Premierministerin Theresa May dem Sturm wird standhalten können.

Martin Alioth

Ehemaliger Grossbritannien- und Irland-Korrespondent, SRF

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Der ehemalige Grossbritannien- und Irland-Korrespondent von Radio SRF lebt seit 1984 in Irland. Er hat in Basel und Salzburg Geschichte und Wirtschaft studiert.

SRF News: Was bezweckt Johnson mit seinem Rücktritt?

Martin Alioth: Fast alles, was Boris Johnson je in der Politik getan hat, dient dem Eigennutz. Er sieht sich als künftigen Premierminister und bietet nun eine Galionsfigur für die harte Brexit-Fraktion innerhalb seiner eigenen Partei. Nachdem David Davis über Nacht aus prinzipiellen Gründen zurückgetreten ist – weil er Theresa Mays Kompromisspapier nicht mittragen konnte und wollte –, kam Johnson unter Druck. Es war bekannt, dass auch er letztlich nicht mit dem weichen Brexit leben wollte.

Muss Theresa May jetzt zurücktreten?

Es würde mich ausserordentlich wundern. Sie hat eine sehr selbstbewusste Regierungserklärung zu dieser Brexit-Konklave vom letzten Freitag und ihren Plänen abgegeben.

Die EU wird sich die Haare raufen.
Autor: Martin Alioth SRF-Korrespondent

Sie kann aber herausgefordert werden, wenn 48 konservative Abgeordnete einen Brief an ihren Vorsitzenden schreiben. Das ist denkbar. May würde ein solches Misstrauensvotum aber mit höchster Wahrscheinlichkeit gewinnen.

Wenn sich May halten kann: Hilft es ihr, ihren etwas «softeren» Brexit durchzuziehen, wenn mit Johnson jetzt ein weiterer Hardliner geht?

Der Verlust des «Ballasts» von Davis und Johnson lässt die Premierministerin durchaus entscheidungsstark erscheinen. Das Ganze hat aber einen Pferdefuss: Die harte Brexit-Fraktion unter Führung des Hinterbänklers Jacob Rees-Mogg hat angekündigt, dass sie mit höchster Wahrscheinlichkeit gegen diese Art von Brexit stimmen wird, falls die EU dereinst zustimmen würde. Das bedeutet, dass es im britischen Unterhaus keine Mehrheit für Mays eigene Pläne geben wird. Die Gewichte, die Arithmetik verschieben sich laufend. Aber May steht auf einer sehr schmalen Plattform.

Welche Folgen hat das alles für die Verhandlungen mit der EU?

Die EU wird sich die Haare raufen. Sie dachten seit dem Wochenende, sie hätten nun endlich einen handlungsfähigen und gesprächsbereiten Partner in London. Das mag noch immer so sein, die Lage bleibt aber unsicher. Das Risiko eines vertragslosen Zustands ist während der letzten zwölf Stunden stark gestiegen.

Das Gespräch führte Isabelle Maissen.

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